Zeitgemäßes und intelligentes Schauspieltraining

Rezension von Victoria Worsleys Buch „Feldenkrais for Actors“ von David Jeker 

(zuerst veröffentlich 2018 im Feldenkrais Forum 102)

„Wenn dir jemand sagen würde, dass es etwas gibt, das absolut wesentlich für die Charakteristik menschlichen Verhaltens ist, etwas, das die Art und Weise von allem bestimmt, was Menschen tun, etwas, das so fundamental für das Leben ist, dass niemand ohne es auch nur einen Moment überleben könnte – würdest du als Schauspieler dann nicht alles, was du darüber finden kannst, wissen wollen?“ (S. 1, Übersetzung der Buchzitate: David Jeker)

Mit diesen Worten wendet sich Victoria Worsley in der Einleitung ihres Buches Feldenkrais for Actors an Schauspieler*innen und Schauspielstudent*innen, die häufiger als man vielleicht denken könnte, an Sinn und Zweck von Körper- und Bewegungstraining für ihre Profession zweifeln. Die Frage beantwortet sie sogleich mit Moshé Feldenkrais’ berühmter Aussage, dass Leben ohne Bewegung nicht möglich wäre und es folglich auch keine Handlungen und keinerlei Ausdruck gäbe. „Könntest du lachen, weinen, lächeln, wütend werden, ohne Bewegung zu verwenden? Bewegung ist die Substanz des Lebens! Warum in aller Welt, solltest du sie nicht aus allen Perspektiven studieren? Wäre es im Grunde nicht äußerst sonderbar, es nicht zu tun?“ (S. 2)

Sie legt mit wenigen Worten plausibel dar, dass die Art und Weise, wie wir gelernt haben uns zu bewegen, unseren Körper und unser Verhalten formt. Und was tun SchauspielerInnen im Kern anderes, als menschliches Verhalten zu studieren und zu verkörpern?

Kompetente Einführung in die Feldenkrais-Methode

Victoria Worsley ist eine Schauspielerin und Feldenkrais-Lehrerin aus England. Der Feldenkrais-Methode begegnete sie bereits als 17-jährige Schauspielschülerin bei Monika Pagneux, die in den 1970er-Jahren in Paris Moshé Feldenkrais persönlich kennengelernt hatte. Pagneux arbeitete damals als Bewegungsregisseurin in Peter Brooks[1] Centre International de Recherches Theatrales und integrierte im Folgenden die Feldenkrais-Methode in ihr Training. Victoria Worsley war also schon seit vielen Jahren mit der Feldenkrais-Methode vertraut, als sie von 2003 bis 2007 ihr Feldenkrais-Training bei Garet Newell in Lewes (UK) absolvierte. Seither unterrichtet sie die Methode an verschiedenen Schauspielschulen und in eigener Praxis in London. Mit ihrem Buch richtet sie sich in erster Linie an professionelle Schauspieler*innen und Schauspielstudent*innen, zugleich schreibt sie aber eine kompetente und detailreiche Einführung in die Feldenkrais-Methode und arbeitet alle denkbaren Bezüge zur Bühnenkunst heraus. 

Bereits der Aufbau des Buches bietet einen guten Überblick über die Themen, die sie abdeckt: Es ist in sechs Teile unterteilt, die alle jeweils ein bis zwei Feldenkrais-Lektionen und mehrere Übungen beinhalten. Es beginnt im ersten Teil, „Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst“, mit einem Überblick über die Vorgehensweise, woraus sich die Kapitel „Wissen, was man tut“ und „Lernen, das zu tun, was man will“ ableiten. Es geht weiter mit „Präsenz und Körperhaltung“, worin sie beschreibt, wie man sich mithilfe von Feldenkrais in einen offenen und reaktionsbereiten Zustand versetzen kann, der einen für kreative Prozesse bereit macht. Sie betont die Bedeutung des Hier und Jetzt und die Fähigkeit, einen offenen Fokus zu kultivieren, der es erlaubt, mit der Aufmerksamkeit nicht nur bei sich selbst, sondern auch im Raum und bei den Mitspieler*innen zu sein. Dann hebt sie die enorme Bedeutung einer dynamischen Stabilität (Acture) für lebendige und ausdruckstarke Präsenz hervor und macht dies mit Hilfe der Lektion „Das Pendel“ erlebbar. In dieser Lektion im Stehen erprobt man, wie durch viele kleine Abweichungen von der Mitte allmählich ein klareres Gefühl für die Mitte entstehen kann.

Der zentrale Abschnitt des Buchs: Körper, Emotionen, Figurenarbeit und Kreativität

Im dritten Teil widmet sie sich der Ökonomie des Kraftgebrauchs und zieht dafür viele Parallelen zu Moshé Feldenkrais’ Hintergrund als Kampfkünstler. Die Wichtigkeit von gut geschultem, differenziertem Kraftgebrauch spielt auch im vierten Teil eine große Rolle, wo Victoria Worsley auf den Zusammenhang zwischen Körper, Emotionen, Figurenarbeit und Kreativität eingeht. In diesem zentralen Abschnitt des Buches geht es zunächst um das Verständnis der Einheit von Körper und Geist, das auch von großem praktischen Interesse für jede Schauspieltechnik ist. Diesbezüglich hält das Werk von Moshé Feldenkrais sehr konkrete Antworten bereit. Im Gegensatz zur populären Annahme, Gefühle und Emotionen seien in erster Linie mentale Zustände, zeigt Victoria Worsley dass im Bezug auf die Schauspielerei vor allem die physiologischen Aspekte und die Auswirkungen auf die Bewegung von Bedeutung sind: „In jedem Gefühlszustand […] gibt es überall in deiner Physiologie Verlagerungen und Verschiebungen, welche den Atem, den Herzschlag, den Blutfluss, den Muskeltonus, die Eingeweide und manchmal sogar das Immunsystem beeinflussen.“ (S. 162) Daraus folgt, dass Gefühle in erster Linie an den körperlichen Veränderungen und den dadurch veränderten Qualitäten des Verhaltens abgelesen werden können. 

Immer wieder schlägt Victoria Worsley den Bogen zu verschiedenen bekannten Schauspiellehrern wie beispielsweise Konstantin S. Stanislawsky, Michael Tschechow, Uta Hagen und Sandford Meisner, um nur einige zu nennen. Eine wesentliche Idee der Schauspielerei beinhaltet den Begriff der Durchlässigkeit: Schauspieler übermitteln etwas, das sie innen fühlen, nach außen. Ihre Körper müssen durchlässig genug sein, um das zu ermöglichen. Peter Brook sagte: Schauspieler machen das Unsichtbare sichtbar.

All die oben genannten Lehrer wussten, dass muskuläre Spannungen den emotionalen Ausdruck stören und alle hatten Entspannungsübungen im Repertoire. Aber nicht mit allen Übungen kommt man den tiefliegenden Haltemustern bei. Victoria Worsley legt sehr überzeugend dar, dass Feldenkrais dafür einen besonders hochentwickelten Ansatz bietet. 

Immer wieder zeigt sie durch konkrete Übungen auf, wie die feldenkraisische Herangehensweise schauspielerische Fragestellungen beantworten kann. In der Übung Standing in the Sand (S. 191, „Im Sand stehen“) erforschen zwei oder drei Personen, wie sich das eigene Selbstbild subtil verändert, wenn sie den Fußabdruck des/der anderen übernehmen. Es wird sehr schön sichtbar, dass Schauspielerei viel mit einem flexiblen, bewusst veränderbaren Selbstbild zu tun hat.

Im fünften Teil widmet sich Victoria Worsley dann dem ebenfalls elementaren Thema „Stimme und Atem“. Sie zeigt funktionale Zusammenhänge zwischen Aufrichtung, Kopf, Kiefer, Zunge und Augen auf und ermöglicht durch feldenkraisartige Übungen, die sie „Spiele“ nennt, und Feldenkrais-Lektionen wie Pecking and Chicken WingsSee-Saw Breathing, und Painting Your Mouth konkrete, nachvollziehbare Erfahrungen. 

Schließlich geht sie im letzten Teil der Frage nach, wie Angst und die Nachwirkungen von Verletzungen sich auf Präsenz und Ausdrucksfähigkeit auswirken können und wie wirkungsvoll solchen Problemen mit nachhaltiger Feldenkrais-Arbeit begegnet werden kann. 

Das Buch macht eindrücklich klar, wie essenziell die Feldenkrais-Methode für Schauspieler*innen sein kann. So wie die Methode einem allgemeinen Publikum ermöglicht, mithilfe fein differenzierter Bewegung sich selbst besser kennen und leiten zu lernen, um das eigene Leben mit mehr Selbstkompetenz und Bewusstheit zu gestalten, so ermöglicht sie Profis auf der Bühne, ihr Instrument – also sich selbst als ganze Menschen – achtsamer, authentischer, geschickter und präziser einzusetzen. All dies durch ein hingebungsvolles Studium der Lebensgrundlage Bewegung in all ihren Ausprägungen. 

Allen, die des Englischen mächtig sind und die sich für Körperarbeit im Kontext von Theater und Auftrittskompetenz interessieren, sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Victoria Worsley, Feldenkrais for Actors. How to Do Less and Discover More [Feldenkrais für SchauspielerInnen. Weniger tun und mehr entdecken]. London, Nick Hern Books Limited, 2016


[1] Peter Brook (geb. 1925), britischer Theaterregisseur, einer der prägendsten Vertreter des modernen Theaters im 20. Jahrhundert