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Das Judo-Prinzip

Moshé Feldenkrais war zwanzig Jahre seines Lebens ein passionierter Judoka. Judo prägte sein Leben und seine Methode nachhaltig. Man darf ruhig behaupten: ohne Judo wäre die Feldenkrais-Methode undenkbar. Auf Deutsch heißt Judo in etwa „sanfter Weg“. Es geht in dieser Kampfkunst darum, mit seinen Kräften zu haushalten und sie so geschickt wie möglich zu gebrauchen, um eine maximale Wirkung zu erzielen.

©International Feldenkrais® Federation Archive

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Auf mich machte bei der ersten Begegnung mit der Feldenkrais-Methode ein Prinzip, das ganz offensichtlich aus dem Judo stammt, besonderen Eindruck – und es scheint mir bis heute eigentlich das Wesentlichste: Wenn du bei einer Handlung einen Widerstand oder eine behindernde Anspannung spürst, kämpfe nicht dagegen an, sondern nimm den Widerstand wahr, studiere ihn und folge ihm. Als Resultat davon verschwindet er häufig oder er verwandelt sich und es eröffnen sich neue Möglichkeiten, sich selbst wahrzunehmen, sich zu bewegen oder zu handeln.

Diese Vorgehensweise entspricht in etwa dem, was in der Psychologie als Paradoxe Intervention bekannt ist. Im Judo heißt dieses Prinzip Siegen durch Nachgeben.

Der Legende nach geht diese Idee auf den im 16. Jahrhundert lebenden japanischen Arzt Akiyama Shirobei zurück, der in China Medizin und die Kunst der Selbstverteidigung studiert hatte. Wieder in Japan, zog er sich in einen Tempel zurück. Es war Winter und es schneite außerordentlich viel. Shirobei betrachtete die Bäume und ihm fiel auf, dass viele Äste unter der Last des Schnees brachen, nur die Äste des Weidenbaums waren elastisch genug, um nachgeben zu können und den Schnee abgleiten zu lassen. Auf Grund dieser Beobachtung soll Shirobei das Prinzip des „Ju“ – des Nachgebens – in die Kampfkunst eingeführt haben. Pauschal gesagt, geht es darum, einen Angreifer zu bezwingen, indem man nachgibt und mit dessen Kraft mitgeht, um sie unschädlich zu machen.

Moshé Feldenkrais benutzte dieses Prinzip als Grundlage für seine Methode. In der Einzelarbeit Funktionale Integration wird nichts erzwungen. Man geht immer mit dem, was da ist, unterstützt das vorhandene Bewegungsmuster, nimmt dessen Richtung auf und leitet sie in neue, ungewohnte Bahnen um und sucht viele alternative Wege für sie. Der Feldenkrais-Trainer Dennis Leiri nannte diese Strategie: „Für das Symptom argumentieren“.

Das Prinzip des Nachgebens hat natürlich nicht nur für die Arbeit mit dem Körper Gültigkeit, Es kann eine umfassende Dimension gewinnen, wenn man es auf sein ganzes Leben anwendet. In einer häufig zitierten Aussage erhebt Moshé Feldenkrais dieses Prinzip zu einer Handlungs-Maxime und einem Ausdruck höchster Lebensweisheit: „Finde deine wahre Schwäche und kapituliere vor ihr. Darin liegt der Weg zum Genie. Die meisten Leute verbringen ihr Leben, indem sie ihre Kraft damit vergeuden, ihre Schwächen zu überwinden oder zu verdecken. Jene Wenigen, die ihre Kräfte nutzen, um ihre Schwächen zu verkörpern, die sich selbst nicht spalten, sind sehr selten. Es gibt in jeder Generation ein paar davon und oft führen sie ihre Generation an.“  

Auf das eigene Leben übertragen: Was bedeutet das für dich selbst? Die Antworten darauf müssen immer wieder neu gefunden werden. Wenn  man ihnen folgt ergibt sich daraus ein lebenslanger Weg.