Archiv der Kategorie: Lernen

Feldenkrais Audio-Lektionen

Audio-Aufnahmen von Feldenkrais-Stunden sind eine hervorragende Gelegenheit, um selbständig mit der Methode zu arbeiten, oder zu Hause die früheren Erfahrungen aus Kursen und Workshops zu vertiefen und grundlegende Bewegungsmuster besser ins eigene Handlungsrepertoire zu integrieren.

Feldenkrais-Anwendung

Foto: Manou Kasimir

Außerdem können wir leichter die Gewohnheit entwickeln, im Alltag innezuhalten und mit Hilfe von Aufmerksamkeit, Koordination und Bewegung das Nervensystem auszubalancieren und zu stärken.

Feldenkrais basiert auf universalen Prinzipien des organischen Lernens und der natürlichen Bewegungsfähigkeit. Wer bereit ist, diese Prinzipien kontinuierlich anzuwenden und in sein Leben zu integrieren, kann langfristig eine nachhaltige und tiefgreifende Auswirkung erleben – nicht nur in körperlicher Hinsicht, sondern auch in vielen anderen Bereichen seines Lebens und seiner Gesundheit, wie beispielsweise in Form wachsender Achtsamkeit, besserer Konzentrations- und Imaginationsfähigkeit oder direkterem Zugang zu Entspannung und Erholung.

Wenn auch du Interesse  Audio-Feldenkrais-Stunden auszuprobieren, informiere dich auf meiner Website: https://www.cordoror.de/angebote/feldenkrais-audio-stunden/

Nutze deine Knochen!

Skelett

Es ist vielleicht für viele nicht auf den ersten Blick verständlich, wie sehr wirksame, elegante und ausdrucksstarke Bewegung mit den Knochen zu tun hat. Das Skelett ist tief in uns verborgen und wir wissen wenig darüber. Obwohl wir alle eines haben, schrecken wir im Allgemeinen vor seiner Gestalt zurück. Das „Knochengerüst“ steht für Tod, Krankheit und Gefahr, es lässt an Geisterbahnen, Halloween und Gruselfilme denken. So kommt es, dass wir seinen eigentlichen Nutzen verkennen und vernachlässigen! Darüber hinaus leben wir in einer Gesellschaft, in der tendenziell die Muskeln angebetet werden. Fitness wird gleichgesetzt mit Work-out, Krafttraining, Waschbrettbauch und so fort. Aber eigentlich dienen die Muskeln lediglich dazu, die Knochen zu bewegen! Wenn wir uns einen Körper ohne Knochen vorstellen würden, käme nicht viel mehr als ein unförmiger Gewebeklumpen ohne Form und Funktion heraus.

Das Skelett ist die tiefste und stabilste Struktur in unserem Organismus. Es gibt dem Körper Form und liefert ein Modell unserer Bewegungsmöglichkeiten, indem es uns zeigt, wo wir uns in welchem Ausmaß bewegen können. Außerdem trägt es unser Gewicht und erlaubt uns, Kraft von einer Stelle zu einer anderen zu übermitteln. Wenn wir beispielsweise einen schweren Gegenstand schieben, gelingt dies nur weil wir mit den Füßen gegen den Boden drücken und die Kraft durch unsere Knochen an die richtige Stelle leiten. Die Kraft reist buchstäblich wie auf Eisenbahnschienen durch das Skelett. Jedes Mal, wenn wir uns bewegen, generieren wir Kräfte, die auf diesen skelettalen Geleisen durch uns hindurch geleitet werden. Selbst wenn wir uns nicht aktiv bewegen hängen wir von diesem Phänomen ab: Die Schwerkraft drückt durch das Skelett hinunter in den Boden, und in der Gegenbewegung richtet uns das Skelett gegen die Schwerkraft auf. Wenn unsere Knochen richtig ausgerichtet sind, nutzen wir die sogenannte Boden-Reaktionskraft optimal aus und die Anti-Gravitationsmuskeln, arbeiten, ohne zu ermüden. Diese Art der Kraftübertragung ist auch in Aktion, wenn wir eine Tür öffnen, die Schuhe ausziehen oder eine Tasse aus dem Regal nehmen.

Wir tendieren dazu, die Funktion unserer Knochen zu wenig oder zu ungeschickt in Anspruch zu nehmen. Was wir hingegen meist überbeanspruchen, sind unsere Muskeln! Wenn wir aufgrund unserer Gewohnheiten zu viel Arbeit mit den Muskeln übernehmen, wird die Kraft nicht durch den Körper hindurch geleitet sondern gestaut – was auf Dauer beträchtliche Konsequenzen haben kann. In Feldenkrais-Stunden können wir unsere muskulären Gewohnheiten dekonstruieren und als Resultat erleben wir uns „skelettaler“! Ideale Bewegung würde bedeuten, dass die Muskeln sowenig Arbeit wie möglich ausführen müssen, um die Knochen zu bewegen und die Knochen den größtmöglichen Teil des Gewichtes tragen. Daraus ergibt sich auch ein neurologischer Effekt: Wenn unsere Muskeln weniger arbeiten und die Knochen ihrer Bestimmung besser nachkommen können, wird das Gehirn frei für andere Aktivitäten! Wir fühlen uns ruhiger, ohne schläfrig zu sein und wir werden zugleich stabiler und beweglicher!

Im Tagesworkshop „Nutze deine Knochen!“ werden wir auf verschiedene Arten untersuchen, wie Kraft durch uns hindurch geleitet wird und wie wir diese Kraft nutzen können, um uns das Leben leichter zu machen!

Mehr Infos und die Möglichkeit, sich anzumelden gibt es unter www.cordoror.d

Gleichgewicht ist eine Aktivität

Wenn es uns leicht fällt, in vielen verschiedenen Positionen und Umgebungen im Gleichgewicht zu bleiben, gewinnen wir große Bewegungsfreiheit. Wir fühlen uns sicher und frei, wagen uns in die Welt hinaus, probieren neue Dinge aus und bewegen uns problemlos schnell und kraftvoll.

Bewusstheit durch Bewegung © International Feldenkrais® Federation Archive, Robert Golden

Bewusstheit durch Bewegung © International Feldenkrais® Federation Archive, Robert Golden

Die Fähigkeit, im Gleichgewicht zu bleiben, ist verletzlicher und gefährdeter als wir gemeinhin denken. Solange wir damit keine Probleme haben, kommt es uns vor, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ohne umzufallen auf zwei Beinen zu stehen, zu gehen, zu laufen oder zu hüpfen. Wir denken nicht über die Komplexität dieser Aufgabe nach, die unser Gehirn im Hintergrund jeder Tätigkeit ununterbrochen zu meistern hat. Gleichgewichtsprobleme gehören jedoch zu den häufigsten Gründen, weshalb ältere Menschen einen Arzt aufsuchen und sind die Hauptursache für Stürze. Untersuchungen der NASA haben gezeigt, dass bereits junge Menschen in ihren Zwanzigern erste Anzeichen einer verminderten Balancierfähigkeit zeigen.

Das Thema Gleichgewicht ist eine große und sehr grundsätzliche Angelegenheit. Unsere körperliche Struktur ist so beschaffen, dass wir im Grunde genommen ständig fallen. Wir haben eine winzige Basis, ein sehr hoch gelegenes Gravitationszentrum und ganz oben einen ziemlich schweren Kopf. Dank dieser instabilen Struktur haben wir eine enorme Bewegungsfreiheit in alle Richtungen und können uns ohne weiteres in Bewegung setzen oder die Richtung ändern. Als Preis dafür, muss unser Gehirn die ganze Zeit sicherstellen, dass wir nicht fallen. Mit Hilfe somato-sensorischer Wahrnehmungen und der Augen sowie des Vestibularsystems im Innenohr, berechnet es ununterbrochen unsere Position im Raum und koordiniert die Muskeln. Dies ist ein hoch komplexer Prozess, der fortwährend stattfindet, ohne dass wir im Normalfall viel davon mitbekommen.

Es ist hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass das Gleichgewicht eine Aktivität ist – kein Ding, das wir haben oder eben nicht. Mit der „Aktivität“, das Gleichgewicht spontan und unbewusst jederzeit wiederzufinden, sind wir von Kindesbeinen an vertraut. Wir mussten sie über viele Jahre hinweg lernen und verfeinern. In einem organischen Lernprozess, bei dem wir ausprobierten, scheiterten, wieder ausprobierten, besser scheiterten und so fort, vernetzte sich unser Gehirn in zunehmendem Maße und bildete Muster heraus, die es ermöglichten, uns in der Schwerkraft allmählich aufzurichten. Ein gesundes Kind benötigt rund sechs Jahre um herauszufinden, wie es einige Sekunden lang sicher auf einem Bein stehen kann! Damit nicht genug. Es fährt noch lange damit fort, spielend, laufend, kletternd seine Gleichgewichtsfähigkeit zu verbessern und während des Balancierens zunehmend komplexere Dinge auszuführen.

Anders als Kinder, die ständig in Bewegung sind und ihr Gehirn permanent mit neuen Gleichgewichts-Herausforderungen beschäftigen, verbringen wir als Erwachsene viele Stunden in stabilen Sitzpositionen und lassen unser Gehirn – bezüglich der Aufgabe, das Fallen zu verhindern – buchstäblich verhungern! Auch viele Fitness-Programme fordern das Gleichgewicht kaum heraus. So bieten beispielsweise stationäre Fahrrad-Hometrainer oder das Gewichtheben an einer Maschine nur geringe bzw. gar keine Variationsmöglichkeiten.

Durch die einseitigen Routinen unseres modernen Alltagslebens wird die fundamentale Fähigkeit, unbewusst, fließend und spontan das Gleichgewicht immer wieder zu finden, allmählich beeinträchtigt.

Der beginnende Verlust der Gleichgewichts-Fähigkeit bei jüngeren Menschen führt zunächst zu einer reduzierten Motivation, sich zu bewegen und neue Dinge auszuprobieren. Dies wiederum vermindert weiteres Lernen, schränkt die allgemeine Vitalität und Lebensfreude ein.

Viele ältere Menschen tendieren in der Folge dazu, einen breiteren Stand einzunehmen, beim Gehen zu schlurfen und ihren ganzen Körper immer steifer zu halten. Sie bewegen sich, als wären sie ein fester Klotz und versuchen so Stabilität und Sicherheit zu erzeugen. Tatsächlich verhindern sie auf diese Weise jedoch all die Bewegung, die nötig ist, um sich auszubalancieren. Es entsteht eine fixierte Art von Stabilität wie bei einem Möbelstück.

Zum Glück können wir jedoch viel dafür tun, unsere Balance-Fähigkeit zu erhalten. Das menschliche Gehirn ist unser wandelbarster Körperteil und unter den richtigen Bedingungen kann dem Verlust guten Gleichgewichts entgegen gewirkt werden.

Da Gleichgewicht das Resultat einer komplexen Hirnaktivität ist, die auf organischem Lernen beruht, können wir es beeinflussen. Um die Fähigkeit des Balancierens pflegen und fördern zu können, müssen wir bereit sein, unsere Bewegungs-Gewohnheiten in Frage zu stellen, unsere Balance herauszufordern und unser Gefühl für Bewegung – den kinästhetischen Sinn – zu schulen.

Die Feldenkrais-Methode ist dafür ein optimales Werkzeug. Sie fördert unsere Bewusstheit, um sicherer, leichter und zweckmäßiger handeln zu können. Wenn wir wahrnehmen, was wir tun und erkennen, dass es Alternativen dazu gibt, können wir die eigenen Bewegungen besser lenken und unser Gehirn darf tun, was es am besten kann: Bewegung koordinieren.

Mini-Übung für den Alltag: »Challenge your Balance!«:

  1. Innehalten und den Körper spüren: Nimm dir vor, zwei bis drei mal am Tag während einer Tätigkeit innezuhalten und auf die Empfindungen des eigenen Gewichts und des Atems zu achten. Schließ die Augen und frage dich: „Wie sieht meine Körperhaltung aus? Welche Teile meines Körpers berühren gerade den Boden? Wie ist meine Beziehung zur Schwerkraft in diesem Augenblick? Kann ich etwas daran verbessern, indem ich überflüssige, unzweckmäßige Anstrengungen sein lasse? Ist meine Wirbelsäule aufrecht oder gebeugt? Wie fühlen sich die Schultern an? Was macht die Atmung? Ist der Kiefer locker? Sind die Augen entspannt?“

    Bewusstheit durch Bewegung © International Feldenkrais® Federation Archive, Robert Golden

    Bewusstheit durch Bewegung © International Feldenkrais® Federation Archive, Robert Golden

  1. „Erden!“: Geh erneut mit deiner Aufmerksamkeit bewusst zu den Stellen deines Körpers, die den Boden oder eine andere tragende Oberfläche berühren. Du kannst dich „erden“, indem du ein paar Atemzüge lang bewusst dein Gewicht auf diese Berührungspunkte sinken lässt und gleichsam der Schwerkraft ein wenig nachgibst.
  1. Fordere dein Gleichgewicht heraus: Probiere nun aus, ob du die Unterstützungsfläche, die dich trägt ein kleines bisschen reduzieren kannst. Das muss keine große Sache sein: Wenn du auf beiden Beinen stehst, verlagere ganz langsam dein Gewicht auf ein Bein und versuche den anderen Fuß vom Boden zu heben. Oder hüpfe ein paar Mal. Oder stell dich mit beiden Füßen auf die Zehenspitzen. Wenn du gerade sitzt: steh ganz langsam und ohne Anstrengung auf. Beobachte, wie du dich innerlich organisieren musst, um mit möglichst wenig Aufwand auf beide Beine zu kommen. Erfinde eigene Variationen!

Wichtig ist, dass du langsam, leicht und bewusst vorgehst. Orientiere dich an den Feldenkrais-Arbeitsprinzipien. Wiederhole diese kleine Übung mehrmals am Tag. Es ist die Summe kleiner Veränderungen, die einen großen Unterschied machen und zu mehr Bewusstheit und Ganzheit beitragen.

Tagesseminar im Bewegungsatelier Leipzig: Gleichgewicht – Förderung von Koordination und Orientierung

Feldenkrais und Schauspiel

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von David Jeker

[Zuerst veröffentlicht in der Mitgliederzeitschrift des FVD Feldenkrais-Verbands Deutschland e.V.: Feldenkraisforum 93 / Mai 2016 ]

„Wir verfügen nur über ein Instrument, um dem Publikum unsere Gefühle, unsere Emotionen, unsere Ideen zu vermitteln: den eigenen Körper.“ – (Michael A. Tschechow)[1]

Seit ich während meiner Schauspielausbildung eine erste flüchtige Bekanntschaft mit der Feldenkrais-Methode machte, führen Schauspielerei und Feldenkrais in mir eine lebendige Beziehung, die – wie das bei Beziehungen eben so ist – nicht immer frei von gelegentlichen Schwierigkeiten und Konflikten war, in der Summe aber äußerst fruchtbar verläuft. Was ich in den etwa fünfundzwanzig Jahren dieser Beziehung an Schwierigkeiten, Erkenntnissen und Entwicklungen erlebt habe, soll Thema des folgenden Artikels sein und zugleich eine Reflexion auf die Frage, ob das Theater ein natürlicher Nährboden für die Feldenkrais-Methode ist.

Version 5

Meine erste professionelle Begegnung mit der Schauspielerei hatte ich anlässlich eines ausgedehnten Workshops mit der italienisch-argentinischen Theatertruppe Teatro Nucleo. Dieses Ensemble arbeitete in der Tradition des Körpertheaters der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend intensiv war das Training mit akrobatischen Übungen, Stockkampf und choreographischen Abfolgen selbst entwickelter Bewegungsvokabeln. Hinzu kamen Improvisationen, szenische Experimente, Exkurse in die Theater- und Kunstgeschichte sowie in Psychologie und Philosophie. Ich lernte einen Begriff kennen, der für mich einen verführerischen Klang hatte: „L’attore poeta“, der Schauspieler als Poet, beziehungsweise als Autor seiner Rolle. Die Welt, die sich mir damals eröffnete, war voller Möglichkeiten, Energie und Poesie. Ich war mit einer Profession konfrontiert, in der die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit der psycho-physischen Ganzheit eine Voraussetzung war. Täglich im Proberaum mehrere Stunden Körper und Geist zu trainieren, herauszufordern und zu befragen wurde zur Gewohnheit. Die Erfahrungen mit dem Teatro Nucleo beeinflussen meinen Weg in gewisser Weise bis heute. Jedenfalls habe ich damals begonnen, es als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten, dass Schauspielerei eine eigenständige, künstlerische Persönlichkeit verlangt, die reifen, sich entwickeln und entfalten möchte und dass Bewegung dabei eine zentrale Rolle spielt.

Ich erwähne dies so ausführlich, weil eine solche Vorstellung von Schauspielerei nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Dies genauer zu analysieren und zu beschreiben, hat hier keinen Platz und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur soviel: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Schauspieler zu sich selbst als Instrument kaum eine bewusste Beziehung haben. Bei der Vorbereitung auf Vorstellungen bedienen sich viele – wenn sie denn mehr tun, als eine Zigarette vor dem Auftritt zu rauchen – relativ wahllos irgendwelcher Übungen, an die sie sich aus dem Sprechunterricht an der Schauspielschule, aus Yoga oder Sport erinnern. An all dem ist nichts auszusetzen, aber häufig wirkt es etwas hilflos, und mir scheint, als wüssten überraschend viele nicht, was ihnen wirklich helfen könnte, um sich zweckmäßig auf den Zustand der Darstellung vorzubereiten.

Wir entwickeln uns lebenslänglich weiter und reifen wie ein kostbarer Wein

Die Feldenkrais-Methode lernte ich eher zufällig 1991 an der Schauspielschule in Bern kennen. Einer meiner Sprechlehrer gab mir eine Audiokassette mit zwei von Franz Wurm gesprochenen Atemlektionen, um mir bei meinen damaligen Stimmproblemen zu helfen. Ich hatte bis dahin noch nie etwas von Feldenkrais gehört, aber die langsamen Experimente mit mir selbst unter Anleitung dieser ruhigen, sonoren Stimme (die ich fälschlicherweise jahrelang für jene von Moshé Feldenkrais hielt), taten mir gut und weckten meine Neugierde. Ich begann irgendwann das Buch Bewusstheit durch Bewegung zu lesen und probierte in meinem Zimmer einzelne Bewegungssequenzen aus. Ihre Wirkung faszinierte mich, auch wenn ich nicht wirklich verstand, was da vor sich ging. Immer wenn ich im Leben gerade nicht weiter kam, stieß ich auf ein Buch von Moshé Feldenkrais und hatte das Gefühl, in der Methode dieses Mannes müsse die grundsätzliche Lösung meiner Fragen zu finden sein. Besonders seine Überzeugung, dass wir uns als Menschen lebenslänglich weiter entwickeln und reifen wie ein kostbarer Wein, der, je älter er wird, immer besser wird, hatte es mir angetan. Zudem ermutigte es mich in Bezug auf die Schwierigkeiten mit meiner Stimme, die sich als hartnäckig herausstellten und nicht kurzfristig zu beheben waren, obwohl ich mit allen möglichen Methoden intensiv die Stimme trainierte. Tiefergehend änderte sich daran erst etwas während meines Feldenkrais-Trainings von 2000 bis 2004 in Basel.

Wurde ich zu Beginn meiner Karriere als Schauspieler regelmäßig etwas besorgt gefragt, was denn eigentlich mit meiner Stimme los wäre, kamen nun immer häufiger Leute auf mich zu, die mich auf meine „interessante“ Stimme ansprachen – was durchaus positiv gemeint war. Für mich ist heute klar, dass diese Veränderung mit den vielen ATM-Lektionen zu tun hatte, die ich während der Ausbildung genoss. Ganz allmählich begann sich der obere Bereich meines Brustkorbs aufzurichten und die chronischen Verspannungen entlang des Stimmkanals um den Kehlkopf, im Hals und im Nacken nahmen ab. Es verging beinahe ein weiteres Jahrzehnt, bis ich immer öfter ein Lob auf meine „angenehme, beruhigende“ Stimme hörte. Hätte mir an der Schauspielschule jemand gesagt, dass es zwanzig Jahre dauern würde, um mein „Stimmproblem“ nachhaltig zu beeinflussen, es wäre frustrierend gewesen. Aber heute bin ich froh, nicht aufgegeben zu haben. Obwohl das nicht einmal ganz der Wahrheit entspricht, denn irgendwann hatte ich es aufgegeben, Stimmübungen zu machen, da sie scheinbar sowieso nichts brachten. Selbst dies sehe ich heute als einen wichtigen „feldenkraisischen“ Schritt. Ich hatte meine Zielfixierung aufgegeben und mir dadurch Druck genommen.

Auch jenseits des Stimmthemas war mir klar, dass die Feldenkrais-Methode meine Arbeit als Schauspieler positiv beeinflusst. Schließlich war ich es gewöhnt, den eigenen Körper, Bewegung mit all ihren Facetten, ja die ganze eigene Person als mein zentrales Ausdrucksmittel zu verstehen. Eine ganzheitliche Methode, bei der es um Selbsterforschung, Selbsterkenntnis und Selbstkompetenz geht, ist doch genau das, was wir brauchen! Dennoch fiel es mir enorm schwer, anderen Kollegen zu erklären wie Feldenkrais konkret der Schauspielerei dienen kann. Für die meisten sah es einfach nach Entspannung aus – sicherlich eine willkommene Abwechslung zum stressigen Probenalltag –, aber die Idee, es könnte sich um ein fundamentales Werkzeug zur Aus- und Weiterbildung ihrer Fähigkeiten handeln, erschien ihnen abwegig. Manche fanden es auch einfach zu introvertiert, zu langsam, zu unspektakulär. Ein Schauspielkollege, der seine Ausbildung in Belgien absolviert hatte, erzählte mir sogar, dass der dortige Leiter der Schauspielschule die Feldenkrais-Stunden aus dem Lehrplan strich, weil er angeblich mit den Studenten nach einer Feldenkrais-Lektion nicht mehr proben konnte.

Ich wusste gut, was damit gemeint war. Tatsächlich befand auch ich mich am Ende einer Lektion selten in einem geeigneten Zustand, um aufzutreten. In einem Advanced-Training sagte Larry Goldfarb nach einer ATM scherzhaft: „Do your famous Feldenkrais-Zombiewalk.“ Das traf den Nagel auf den Kopf. Durch Larrys Unterricht verstand ich auch den Grund dafür: Eine Feldenkrais-Stunde verlangt unter anderem eine vorübergehende Regression. Wir begeben uns in der Bewegungsentwicklung ein paar Stufen zurück, um bestimmte Zusammenhänge und Differenzierungen zu studieren, und am Ende der Stunde tauchen wir gerade aus den Tiefen dieser Reise wieder auf. Die meisten ATMs, die ich in meiner Ausbildung oder bei Feldenkrais-Lehrern in dieser Zeit erlebte, endeten mit einem Gang durch den Saal, der nicht selten genau so ein „Zombiewalk“ war, und der sich dann bestenfalls zu einem Aufwachspaziergang in Richtung Kaffeemaschine entwickelte. Das genügte als Alltags-Referenz. Einerseits hatten wir ja alle häufig genug gehört, dass die Wirkung der Stunde sich irgendwie untergründig in unserem Bewegungsrepertoire etablieren würde, andererseits schlugen wir uns mehr schlecht als recht mit der berühmten Frage nach dem Transfer des Erlebten in den Alltag herum. Um zur Schauspielerei zurückzukehren: zwischen dem Ende einer Feldenkrais-Lektion am Boden und der konkreten Arbeit auf der Bühne gab es eine gewaltige Lücke. Das war offensichtlich, und doch brauchte ich ziemlich lange, um zu verstehen, wie ich als Feldenkrais-Lehrer eine Brücke bauen konnte, wenn ich mit Theaterkollegen oder Schauspielstudenten Feldenkrais machen wollte.

Als ich eine Anfrage bekam, an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel Körperarbeit für die Bühne zu unterrichten, musste ich für dieses Problem endgültig eine Lösung finden. Zudem war klar, dass ich dort nicht nur ATM unterrichten konnte. Ich war gefordert, meine Erfahrungen als Schauspieler mit den Feldenkrais-Prinzipien zu verbinden.

Feldenkrais RolleJust in jener Zeit besuchte ich einen Workshop von Moti Nativ über die Wurzeln der Feldenkrais-Methode in den Kampfkünsten. In diesem Workshop entdeckte ich einen wesentlichen Link, um die genannte Lücke zu schließen. Bei Moti Nativ spielte es kaum eine Rolle, ob man gerade am Boden eine ATM machte oder eine Technik aus der Kampfkunst trainierte. Sein Unterricht war ein Ganzes, egal ob wir uns am Boden oder im Stehen, schnell oder langsam, kraftvoll oder ganz leicht bewegten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Sobald die Orientierung im Raum dazu kam und die Funktionalität einer Kampfkunsttechnik, entstanden spontan Präsenzund Reaktionsbereitschaft. Der Schlüssel war der Gebrauch der Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, dass ich die Gewohnheit hatte, entweder meine Aufmerksamkeit bewusst nach innen zu richten, um zu spüren und sensorische Wahrnehmungen zu beobachten, oder sie bewusst nach außen in den Raum zu projizieren, um zu kommunizieren, mich zu orientieren oder zu handeln. Die dritte Möglichkeit, die sich mir in diesem Workshop eröffnete, war mir zuvor nicht wirklich bewusst: mit meiner Innenwelt und der Außenwelt gleichzeitig und gleichermaßen in Kontakt zu sein und zu handeln.

Eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen

Für mich war es eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen. Vor dieser Erfahrung hatte ich eine immense Scheu, große, ausladende Bewegungen in meinen Unterricht einzubauen, und schnelle Bewegungen waren quasi tabu. Nun verstand ich, wie ich die Grundsätze der Methode auf das ganze Spektrum möglicher Handlungen anwenden konnte, und mir wurde klar, wie ich am Ende einer ATM mit einer Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus und ein paar Variationen des Tempos das Auftauchen aus dem regressiven „Zombiezustand“ bis hin zu wacher psycho-physischer Präsenz und Reaktionsbereitschaft weiterführen konnte. Im Nachhinein erscheint mir diese Erkenntnis banal. Ich hatte einfach einen wesentlichen Aspekt der Methode übersehen. Um es abgewandelt mit Moshé Feldenkrais‘ Worten zu sagen: mein Inneres hatte mit dem Äußeren keinen umfassenden Kontakt.[2]

Durch Feldenkrais habe ich verstanden, wie wichtig die Rahmenbedingungen fürs Lernen sind. Im Theater sind diese Bedingungen nicht immer optimal. Es herrscht meist enormer Termindruck, das Ziel (die Premiere) beherrscht alles, die Kommunikationskultur ist zuweilen nicht die gediegenste. In meinen Schauspiel-Workshops versuche ich den offenen Geist der Feldenkrais-Methode ins Theater bringen: ich verstehe sie als Labor, in dem die Teilnehmenden in einer Atmosphäre der Neugierde und Achtsamkeit ohne Konkurrenzdruck mit sich und ihren Ausdrucksmöglichkeiten experimentieren können. Fehler und Irrwege sind ausdrücklich erlaubt und Teil dieses Prozesses. Anders gesagt: Auch eine Schauspielübung oder eine Probe kann wie eine ATM gestaltet werden! Arbeitsgrundsätze wie Achtsamkeit, Langsamkeit, Leichtigkeit, Variantenreichtum, Umkehrbarkeit – um nur einige zu nennen – lassen sich auf jede Lernsituation anwenden. Und die Erarbeitung einer Rolle ist nichts anderes als eine kreative Lernsituation. Proben bedeutet, auszuprobieren und möglichst viele Variationen auszutesten, um sich der stimmigsten Möglichkeit Schritt für Schritt anzunähern. So kann es beispielsweise ein aufschlussreiches Experiment sein, eine Szene gegen den Strich zu spielen: Die Darsteller haben die Aufgabe, in jedem Moment das Gegenteil dessen zu spielen, was die dramaturgische Logik eigentlich nahelegen würde. Das gleicht der Anweisung in einer ATM, die Bewegung absichtlich anstrengender zu machen, als sie sein müsste. Als Resultat wird der angestrebte Selbstgebrauch meist klarer, leichter und müheloser.

Wie sich Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen

Bei Alan Questel entdeckte ich, dass sich umgekehrt auch Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen. Als Schauspieler gilt es, für jede Handlung deren Absicht oder Motivation zu klären und sich bewusst zu sein, in welchem Kontext sie steht. Mit anderen Worten, man muss die Situation genau kennen, in der man als Figur handelt. In seinem Workshop „Creating Creativity“ unterrichtete Alan Questel eine ATM mit dem Titel „Intention – Action – Context“. Die Hauptbewegung ist das Rollen aus der Rückenlage auf eine Seite und wieder zurück. Die Variationen entstehen aus den unterschiedlichen Kontexten und Situationen, die man sich als Grundlage dieser Handlung vorstellen kann: Zum Beispiel früh morgens im Bett auf eine Seite rollen, um den Wecker auszumachen. Oder dasselbe mit der Vorstellung, neben einem liege jemand, den man nicht wecken möchte. Oder das Ganze in einer eiskalten Hütte in den Bergen voller Vorfreude auf eine lange geplante Bergtour und so weiter und so fort. Durch die veränderten Kontexte und Situationen verändert sich natürlich auch die Handlung des Rollens. Das ist ein exemplarischer schauspielerischer Vorgang. Am Ende der ATM hat sich das Gleiche vollzogen wie nach einer „normalen“ ATM. Der Bewegungsablauf ist fließender, geschmeidiger, integraler als zu Beginn, aber zugleich sind die Ausführenden wacher und präsenter.

Moshé Feldenkrais selbst schien zum Theater eine besondere Beziehung zu haben. Laut seinem Biographen Mark Reese liebte er es, ins Theater zu gehen, und 1975 bemerkte er in San Francisco, dass er – hätte er noch Zeit für eine weitere Karriere – gerne Schauspieler werden würde.[3] Er wusste erstaunlich gut über die Schauspielerei Bescheid. Vermutlich lag das nicht zuletzt an seiner langjährigen engen Freundschaft mit dem Ha-Bimah Schauspieler Aharon Meskin, von dessen Arbeitsweise er fasziniert war und mit dem er sich intensiv austauschte. Er hatte die Werke von K. S. Stanislawski[4] gelesen, kannte Lee Strasberg[5] und dessen Actors Studio und unterrichtete sowohl am Ha-Bimah Theater in Tel Aviv als auch Peter Brooks[6] Ensemble in Paris. In dem Interview mit dem Theatertheoretiker und Regisseur Richard Schechner (aus dem das vorangestellte Zitat stammt) formulierte er seine eigenen Ideen darüber, was Schauspieler brauchen, um erfolgreich zu sein. Eigentlich gibt es kaum Zweifel, dass die Feldenkrais-Methode für darstellende Künstler in besonderem Maße wertvoll ist.

Version 3Dennoch war es für mich im Theaterkontext wichtig, zu verstehen, dass mir Feldenkrais eine sehr konkrete Methodik zur Verfügung stellt, mit der ich bestimmte Resultate erreichen kann und andere nicht. Wenn ich mich selbst auf eine Vorstellung vorbereite, benutze ich eher selten reine Feldenkrais-Lektionen. Ich beginne vielleicht ein paar Minuten auf dem Boden mit einem Scan, um meine „Neutralität“ zu finden, mit der Schwerkraft und meinem Skelett in Kontakt zu kommen. Danach sind jedoch eher Übungen gefragt, die den Energiefluss anregen, das Raum- und Partnerbewusstsein steigern und die Reaktionsbereitschaft wecken. In dem erwähnten Interview sagt Richard Schechner zu Moshé Feldenkrais: Was Sie tun, ist eine grundlegende Schulung des Menschen.[7] Schauspielerinnen und Schauspieler lernen in Feldenkrais-Lektionen natürlich genau dasselbe wie alle anderen Feldenkrais-Praktizierenden auch. Ich erlebe das, was mit der Feldenkrais-Methode erreicht werden kann, als eine generelle Verbesserung der Infrastruktur meiner Handlungsfähigkeit. Mit den Bewegungs- und Wahrnehmungsexperimenten am Boden konnte ich die nötigen Grundlagen ausbilden und fördern, um in anderen Zusammenhängen wirksam und erfolgreich handeln zu können. Das war und bleibt selbstredend ein langfristiger (und wie die Geschichte mit meiner Stimme zeigt, zuweilen auch langwieriger) Prozess. Doch gerade diese Arbeit an den Grundlagen ist, wie ich finde, für alle darstellenden Künstler enorm lohnend, da sie mit der „Feldenkrais-artigen“ Herangehensweise auch ein Verfahren an die Hand bekommen, mit dem sie im Verlauf ihrer gesamten Karriere die Lernprozesse, die ihrem Beruf immanent sind, selbständig und kreativ handhaben können.

Darüber hinaus steht natürlich außer Frage, dass Schauspielerinnen und Schauspieler ein sehr spezifisches Handwerk beherrschen müssen, das durch ATM-Unterricht und wachsende Selbstbewusstheit nicht automatisch mit abgedeckt wird. Wenn jemand jedoch in „Bewusstheit durch Bewegung“ geschult, seine Infrastruktur folglich gut gepflegt ist, fällt es ihm bzw. ihr vermutlich leichter, schauspielerische Techniken zu erlernen, welche ja immer die körperlich-geistige Ganzheit der Person ansprechen sollten. Eine Schauspiel-Methode, die sich meiner Erfahrung nach mit Feldenkrais besonders gut verbinden lässt, ist jene von Michael Tschechow[8]. Tschechows Arbeit gründet auf Imagination und Bewegung und verlangt ein hohes Maß an Bewusstheit. Spielerisch und kreativ zielt sie darauf ab, die künstlerische Persönlichkeit der Schauspielerinnen und Schauspieler zu voller Entfaltung zu bringen. Tschechow entwickelte kein rigides System, das streng befolgt werden muss, sondern eine Fülle praktischer psycho-physischer Übungen, die ganz im feldenkraisischen Sinne erforscht, variiert und verinnerlicht werden sollen und sich gegenseitig befruchten.

Inzwischen ist Feldenkrais für Schauspielerinnen und Schauspieler kein Fremdwort mehr. An vielen Schauspielschulen kommen sie zumindest sporadisch mit der Methode in Berührung, an manchen Hochschulen, wie beispielsweise der HKB in Bern oder an der UdK in Berlin, erleben sie Feldenkrais sogar als festen Bestandteil des Lehrplans. Dennoch bilden die darstellenden Künste meiner Ansicht nach in Deutschland (noch) keinen natürlichen Nährboden für die Feldenkrais-Methode, vielleicht weil sie so grundlegend und ihre nachhaltige Wirkung nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Aber das Potential dafür ist vorhanden und vielleicht ist sogar eine Entwicklung in diese Richtung im Gange.

In meinen eigenen Workshops bin ich bestrebt, eine Arbeitsatmosphäre in Feldenkrais-artigem Geist zu schaffen. ATM-Lektionen benutze ich, um die Grundlagen der Arbeit zu legen und neue Ideen einzuführen, die dann mit Hilfe von Übungen aus schauspielspezifischen Trainings weiter erforscht und ausgearbeitet werden. Auf diese Weise möchte ich den Teilnehmenden Gelegenheit geben, sich selbst als „Attori poeti“ zu erfahren, als Autoren ihrer Rollen beziehungsweise ihrer Performances, auf dass sie sie mit den eigenen Fragen ans Leben durchdringen und bereichern können. Eine Arbeit, die selbstredend nicht mit einem Workshop oder einer Premiere endet, sondern sich im Idealfall wie eine Basslinie durchs ganze Leben zieht.


[1] Michael Tschechow, Lektionen für den professionellen Schauspieler, Berlin 2013.

[2] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144. [„Wenn ein Schauspieler gut ausgebildet ist, seines Körpers, seiner Augen, seines Mundes, seiner Willensäußerungen bewusst ist und das Innere mit dem Äußeren umfassenden Kontakt hat, kann er selbst entscheiden, was er tun möchte.“]

[3] Mark Reese, Moshé Feldenkrais: A Life in Movement, 2015; S. 73.

[4] Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863 – 1938), russ. Schauspieler, Regisseur und Schauspiellehrer.

[5] Lee Strasberg (1901 – 1982) US-amerikanischer Schauspiellehrer und Regisseur, Begründer des Method Actings.

[6] Peter Brook (geb. 1925), britischer Theaterregisseur, einer der prägendsten Vertreter des modernen Theaters im 20 .Jhdt.

[7] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144.

[8] Michael A. Tschechow (1891 – 1955), russ. Schauspieler und Schauspiellehrer; Neffe des Dramatikers Anton Tschechow.

Variationen

„Wenn du etwas anderes als das Gewohnte erreichen möchtest, tue etwas Anderes! Wenn du immer die gleichen Übungen machst, die gleichen Bewegungen ausführst, das gleiche Glaubenssystem nutzt, die gleiche Art mit deinem Partner zu kommunizieren, wirst du immer die gleichen Ergebnisse erzielen!“ (Anat Baniel)

Feldenkrais Arbeitsprinzip: Variationen

Feldenkrais Arbeitsprinzip: Variationen

Dem führenden Bewegungswissenschaftler Nicolai A. Bernstein zufolge, ist motorische Geschicklichkeit keine ins Gehirn eingeschriebene Bewegungsformel, sondern die Fähigkeit, motorische Probleme zu lösen. Es ist die Fähigkeit, eine Lösung durch vielfältige Variationen zu finden. Variationen sind hier als Gegensatz zu stumpfer Repetition gemeint. Nicht die häufige Wiederholung der einen »richtigen« Handlung oder des »korrekten« Musters führt zum Erfolg, sondern viele verschiedene Abwandlungen davon. Variationen beliefern das Gehirn mit den frischen sensorischen Informationen, die es braucht um neue Verbindungen zu knüpfen. So entsteht ein breit abgestütztes neuronales Netzwerk, welches die Handlung, die Fertigkeit oder das Verhalten trägt und unterstützt. Auch für bereits erworbene Fähigkeiten benötigt das Gehirn immer wieder neue Variationen, um nicht in eine starre, unflexible Funktionsweise zu verfallen.

Meistens, wenn wir etwas lernen sollen, wird uns eine einzige Möglichkeit vorgelegt, die wir zu pauken haben. Es gibt Lehrer, die ihren Schülern ausschließlich die optimale Lösung beibringen wollen und ununterbrochen jede kleine Abweichung korrigieren. In den meisten Fällen führt dies jedoch zu Frustration und einer armseligen Ausführung der Aufgabe. Wir brauchen die Chance, alle Optionen auszuprobieren und Fehler zu machen, sonst lernen wir nichts! Verbesserungen entstehen durch Variationen! Das ist eines der Hauptprinzipien der Feldenkrais-Arbeit! Wenn zum Beispiel ein Kind Schwierigkeiten hat, zwischen A und O zu unterscheiden, dann bringt es wenig, immer nur auf genau diesen beiden Buchstaben herumzureiten. Man muss auch andere Buchstaben dazu geben, sie verdrehen und auf den Kopf stellen und vieles mehr. Entscheidend ist es, spielerisch das Interesse zu wecken und sich dem Ziel aus vielen verschiedenen Richtungen zu nähern. Irgendwann wird das Kind anfangen Buchstaben zu unterscheiden! – Aber in der Schule wird auch heute noch häufig bloß auf dem einen »richtigen« Lösungsweg beharrt.

Wenn wir also etwas an der Art und Weise unseres Handelns verändern, Schwierigkeiten überwinden oder etwas Neues lernen wollen, empfiehlt es sich, jene Strategie anzuwenden, die wir als Kind perfekt beherrschten: spielen! Zu spielen ist eine vergnügliche, leichte, angenehme Form des Experimentierens und Variierens, um das Gehirn anzuregen, neue Lösungen für möglicherweise Altbekanntes zu finden. Ein gesundes Kind generiert spontan seine eigenen Variationen! Aber wenn wir älter werden, hören wir auf Variationen zu suchen und geraten deshalb immer mehr in Schwierigkeiten! Das macht einen großen Teil des Alterungsprozesses aus! Abwechslung ist insofern nicht nur die Würze des Lebens, sondern auch die Quelle der Lebendigkeit.

Ich erinnere mich an eine Anekdote, die ein Trainer während meiner Feldenkrais-Ausbildung erzählte: Als Moshé Feldenkrais einmal gefragt wurde, was die richtige Art sei, Liebe zu machen, erklärte er: „Mach es einmal wie ein Stier, einmal wie eine Eidechse, einmal wie ein Panther, einmal wie ein Zebra… – er zählte etwa zwölf verschiedene Tiere auf – „ …und danach wirst du wissen, was die menschliche Art und Weise ist!