Archiv der Kategorie: Feldenkrais Erfahrungen

Loslassen durch Bewegung

Die Herausforderungen dieser außergewöhnlichen Zeit können viel Stress erzeugen und unser Nervensystem in der Kampf-, Flucht- und Erstarrungsreaktion festhalten. Das kann sich in vielerlei Symptomen zeigen wie in diffuser Angst, Nervosität, Kurzatmigkeit oder Daueranspannung. Wenn wir über längere Zeit in der physiologischen Stressreaktion stecken bleiben, wird das Immunsystem geschwächt und wir werden anfälliger für Krankheiten, Bluthochdruck, Erschöpfungszustände und spannungsbedingte Schmerzen.

Diese kostenlose Feldenkrais-Audio-Stunde („Loslassen durch Bewegung“) hilft dir, zu einem entspannten und erholsamen inneren Zustand zurück zu finden:

 

 Feldenkrais-Audio-Set „Stress reduzieren durch achtsame Bewegung“:

  1. Wenn du diese und drei weitere besonders entspannungsfördernde Feldenkrais-Stunden erhalten möchtest, schreib mir über das Kontaktformular meiner Website eine E-Mail mit dem Betreff „Stress reduzieren“.  Dann sende ich dir den entsprechenden Download-Link mit einer Rechnung zu (Kosten 30€). Die Stunden heißen: 1. „Mit Fingerbewegungen Stress auflösen“, 2. „Atmen und den Brustkorb ausdehnen“, 3. Loslassen durch Bewegung“, 4. „Die Schultern befreien mit dem Arm-Rechteck“. Kontakt

Feldenkrais und Schauspiel

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von David Jeker

[Zuerst veröffentlicht in der Mitgliederzeitschrift des FVD Feldenkrais-Verbands Deutschland e.V.: Feldenkraisforum 93 / Mai 2016 ]

„Wir verfügen nur über ein Instrument, um dem Publikum unsere Gefühle, unsere Emotionen, unsere Ideen zu vermitteln: den eigenen Körper.“ – (Michael A. Tschechow)[1]

Seit ich während meiner Schauspielausbildung eine erste flüchtige Bekanntschaft mit der Feldenkrais-Methode machte, führen Schauspielerei und Feldenkrais in mir eine lebendige Beziehung, die – wie das bei Beziehungen eben so ist – nicht immer frei von gelegentlichen Schwierigkeiten und Konflikten war, in der Summe aber äußerst fruchtbar verläuft. Was ich in den etwa fünfundzwanzig Jahren dieser Beziehung an Schwierigkeiten, Erkenntnissen und Entwicklungen erlebt habe, soll Thema des folgenden Artikels sein und zugleich eine Reflexion auf die Frage, ob das Theater ein natürlicher Nährboden für die Feldenkrais-Methode ist.

Version 5

Meine erste professionelle Begegnung mit der Schauspielerei hatte ich anlässlich eines ausgedehnten Workshops mit der italienisch-argentinischen Theatertruppe Teatro Nucleo. Dieses Ensemble arbeitete in der Tradition des Körpertheaters der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend intensiv war das Training mit akrobatischen Übungen, Stockkampf und choreographischen Abfolgen selbst entwickelter Bewegungsvokabeln. Hinzu kamen Improvisationen, szenische Experimente, Exkurse in die Theater- und Kunstgeschichte sowie in Psychologie und Philosophie. Ich lernte einen Begriff kennen, der für mich einen verführerischen Klang hatte: „L’attore poeta“, der Schauspieler als Poet, beziehungsweise als Autor seiner Rolle. Die Welt, die sich mir damals eröffnete, war voller Möglichkeiten, Energie und Poesie. Ich war mit einer Profession konfrontiert, in der die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit der psycho-physischen Ganzheit eine Voraussetzung war. Täglich im Proberaum mehrere Stunden Körper und Geist zu trainieren, herauszufordern und zu befragen wurde zur Gewohnheit. Die Erfahrungen mit dem Teatro Nucleo beeinflussen meinen Weg in gewisser Weise bis heute. Jedenfalls habe ich damals begonnen, es als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten, dass Schauspielerei eine eigenständige, künstlerische Persönlichkeit verlangt, die reifen, sich entwickeln und entfalten möchte und dass Bewegung dabei eine zentrale Rolle spielt.

Ich erwähne dies so ausführlich, weil eine solche Vorstellung von Schauspielerei nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Dies genauer zu analysieren und zu beschreiben, hat hier keinen Platz und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur soviel: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Schauspieler zu sich selbst als Instrument kaum eine bewusste Beziehung haben. Bei der Vorbereitung auf Vorstellungen bedienen sich viele – wenn sie denn mehr tun, als eine Zigarette vor dem Auftritt zu rauchen – relativ wahllos irgendwelcher Übungen, an die sie sich aus dem Sprechunterricht an der Schauspielschule, aus Yoga oder Sport erinnern. An all dem ist nichts auszusetzen, aber häufig wirkt es etwas hilflos, und mir scheint, als wüssten überraschend viele nicht, was ihnen wirklich helfen könnte, um sich zweckmäßig auf den Zustand der Darstellung vorzubereiten.

Wir entwickeln uns lebenslänglich weiter und reifen wie ein kostbarer Wein

Die Feldenkrais-Methode lernte ich eher zufällig 1991 an der Schauspielschule in Bern kennen. Einer meiner Sprechlehrer gab mir eine Audiokassette mit zwei von Franz Wurm gesprochenen Atemlektionen, um mir bei meinen damaligen Stimmproblemen zu helfen. Ich hatte bis dahin noch nie etwas von Feldenkrais gehört, aber die langsamen Experimente mit mir selbst unter Anleitung dieser ruhigen, sonoren Stimme (die ich fälschlicherweise jahrelang für jene von Moshé Feldenkrais hielt), taten mir gut und weckten meine Neugierde. Ich begann irgendwann das Buch Bewusstheit durch Bewegung zu lesen und probierte in meinem Zimmer einzelne Bewegungssequenzen aus. Ihre Wirkung faszinierte mich, auch wenn ich nicht wirklich verstand, was da vor sich ging. Immer wenn ich im Leben gerade nicht weiter kam, stieß ich auf ein Buch von Moshé Feldenkrais und hatte das Gefühl, in der Methode dieses Mannes müsse die grundsätzliche Lösung meiner Fragen zu finden sein. Besonders seine Überzeugung, dass wir uns als Menschen lebenslänglich weiter entwickeln und reifen wie ein kostbarer Wein, der, je älter er wird, immer besser wird, hatte es mir angetan. Zudem ermutigte es mich in Bezug auf die Schwierigkeiten mit meiner Stimme, die sich als hartnäckig herausstellten und nicht kurzfristig zu beheben waren, obwohl ich mit allen möglichen Methoden intensiv die Stimme trainierte. Tiefergehend änderte sich daran erst etwas während meines Feldenkrais-Trainings von 2000 bis 2004 in Basel.

Wurde ich zu Beginn meiner Karriere als Schauspieler regelmäßig etwas besorgt gefragt, was denn eigentlich mit meiner Stimme los wäre, kamen nun immer häufiger Leute auf mich zu, die mich auf meine „interessante“ Stimme ansprachen – was durchaus positiv gemeint war. Für mich ist heute klar, dass diese Veränderung mit den vielen ATM-Lektionen zu tun hatte, die ich während der Ausbildung genoss. Ganz allmählich begann sich der obere Bereich meines Brustkorbs aufzurichten und die chronischen Verspannungen entlang des Stimmkanals um den Kehlkopf, im Hals und im Nacken nahmen ab. Es verging beinahe ein weiteres Jahrzehnt, bis ich immer öfter ein Lob auf meine „angenehme, beruhigende“ Stimme hörte. Hätte mir an der Schauspielschule jemand gesagt, dass es zwanzig Jahre dauern würde, um mein „Stimmproblem“ nachhaltig zu beeinflussen, es wäre frustrierend gewesen. Aber heute bin ich froh, nicht aufgegeben zu haben. Obwohl das nicht einmal ganz der Wahrheit entspricht, denn irgendwann hatte ich es aufgegeben, Stimmübungen zu machen, da sie scheinbar sowieso nichts brachten. Selbst dies sehe ich heute als einen wichtigen „feldenkraisischen“ Schritt. Ich hatte meine Zielfixierung aufgegeben und mir dadurch Druck genommen.

Auch jenseits des Stimmthemas war mir klar, dass die Feldenkrais-Methode meine Arbeit als Schauspieler positiv beeinflusst. Schließlich war ich es gewöhnt, den eigenen Körper, Bewegung mit all ihren Facetten, ja die ganze eigene Person als mein zentrales Ausdrucksmittel zu verstehen. Eine ganzheitliche Methode, bei der es um Selbsterforschung, Selbsterkenntnis und Selbstkompetenz geht, ist doch genau das, was wir brauchen! Dennoch fiel es mir enorm schwer, anderen Kollegen zu erklären wie Feldenkrais konkret der Schauspielerei dienen kann. Für die meisten sah es einfach nach Entspannung aus – sicherlich eine willkommene Abwechslung zum stressigen Probenalltag –, aber die Idee, es könnte sich um ein fundamentales Werkzeug zur Aus- und Weiterbildung ihrer Fähigkeiten handeln, erschien ihnen abwegig. Manche fanden es auch einfach zu introvertiert, zu langsam, zu unspektakulär. Ein Schauspielkollege, der seine Ausbildung in Belgien absolviert hatte, erzählte mir sogar, dass der dortige Leiter der Schauspielschule die Feldenkrais-Stunden aus dem Lehrplan strich, weil er angeblich mit den Studenten nach einer Feldenkrais-Lektion nicht mehr proben konnte.

Ich wusste gut, was damit gemeint war. Tatsächlich befand auch ich mich am Ende einer Lektion selten in einem geeigneten Zustand, um aufzutreten. In einem Advanced-Training sagte Larry Goldfarb nach einer ATM scherzhaft: „Do your famous Feldenkrais-Zombiewalk.“ Das traf den Nagel auf den Kopf. Durch Larrys Unterricht verstand ich auch den Grund dafür: Eine Feldenkrais-Stunde verlangt unter anderem eine vorübergehende Regression. Wir begeben uns in der Bewegungsentwicklung ein paar Stufen zurück, um bestimmte Zusammenhänge und Differenzierungen zu studieren, und am Ende der Stunde tauchen wir gerade aus den Tiefen dieser Reise wieder auf. Die meisten ATMs, die ich in meiner Ausbildung oder bei Feldenkrais-Lehrern in dieser Zeit erlebte, endeten mit einem Gang durch den Saal, der nicht selten genau so ein „Zombiewalk“ war, und der sich dann bestenfalls zu einem Aufwachspaziergang in Richtung Kaffeemaschine entwickelte. Das genügte als Alltags-Referenz. Einerseits hatten wir ja alle häufig genug gehört, dass die Wirkung der Stunde sich irgendwie untergründig in unserem Bewegungsrepertoire etablieren würde, andererseits schlugen wir uns mehr schlecht als recht mit der berühmten Frage nach dem Transfer des Erlebten in den Alltag herum. Um zur Schauspielerei zurückzukehren: zwischen dem Ende einer Feldenkrais-Lektion am Boden und der konkreten Arbeit auf der Bühne gab es eine gewaltige Lücke. Das war offensichtlich, und doch brauchte ich ziemlich lange, um zu verstehen, wie ich als Feldenkrais-Lehrer eine Brücke bauen konnte, wenn ich mit Theaterkollegen oder Schauspielstudenten Feldenkrais machen wollte.

Als ich eine Anfrage bekam, an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel Körperarbeit für die Bühne zu unterrichten, musste ich für dieses Problem endgültig eine Lösung finden. Zudem war klar, dass ich dort nicht nur ATM unterrichten konnte. Ich war gefordert, meine Erfahrungen als Schauspieler mit den Feldenkrais-Prinzipien zu verbinden.

Feldenkrais RolleJust in jener Zeit besuchte ich einen Workshop von Moti Nativ über die Wurzeln der Feldenkrais-Methode in den Kampfkünsten. In diesem Workshop entdeckte ich einen wesentlichen Link, um die genannte Lücke zu schließen. Bei Moti Nativ spielte es kaum eine Rolle, ob man gerade am Boden eine ATM machte oder eine Technik aus der Kampfkunst trainierte. Sein Unterricht war ein Ganzes, egal ob wir uns am Boden oder im Stehen, schnell oder langsam, kraftvoll oder ganz leicht bewegten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Sobald die Orientierung im Raum dazu kam und die Funktionalität einer Kampfkunsttechnik, entstanden spontan Präsenzund Reaktionsbereitschaft. Der Schlüssel war der Gebrauch der Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, dass ich die Gewohnheit hatte, entweder meine Aufmerksamkeit bewusst nach innen zu richten, um zu spüren und sensorische Wahrnehmungen zu beobachten, oder sie bewusst nach außen in den Raum zu projizieren, um zu kommunizieren, mich zu orientieren oder zu handeln. Die dritte Möglichkeit, die sich mir in diesem Workshop eröffnete, war mir zuvor nicht wirklich bewusst: mit meiner Innenwelt und der Außenwelt gleichzeitig und gleichermaßen in Kontakt zu sein und zu handeln.

Eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen

Für mich war es eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen. Vor dieser Erfahrung hatte ich eine immense Scheu, große, ausladende Bewegungen in meinen Unterricht einzubauen, und schnelle Bewegungen waren quasi tabu. Nun verstand ich, wie ich die Grundsätze der Methode auf das ganze Spektrum möglicher Handlungen anwenden konnte, und mir wurde klar, wie ich am Ende einer ATM mit einer Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus und ein paar Variationen des Tempos das Auftauchen aus dem regressiven „Zombiezustand“ bis hin zu wacher psycho-physischer Präsenz und Reaktionsbereitschaft weiterführen konnte. Im Nachhinein erscheint mir diese Erkenntnis banal. Ich hatte einfach einen wesentlichen Aspekt der Methode übersehen. Um es abgewandelt mit Moshé Feldenkrais‘ Worten zu sagen: mein Inneres hatte mit dem Äußeren keinen umfassenden Kontakt.[2]

Durch Feldenkrais habe ich verstanden, wie wichtig die Rahmenbedingungen fürs Lernen sind. Im Theater sind diese Bedingungen nicht immer optimal. Es herrscht meist enormer Termindruck, das Ziel (die Premiere) beherrscht alles, die Kommunikationskultur ist zuweilen nicht die gediegenste. In meinen Schauspiel-Workshops versuche ich den offenen Geist der Feldenkrais-Methode ins Theater bringen: ich verstehe sie als Labor, in dem die Teilnehmenden in einer Atmosphäre der Neugierde und Achtsamkeit ohne Konkurrenzdruck mit sich und ihren Ausdrucksmöglichkeiten experimentieren können. Fehler und Irrwege sind ausdrücklich erlaubt und Teil dieses Prozesses. Anders gesagt: Auch eine Schauspielübung oder eine Probe kann wie eine ATM gestaltet werden! Arbeitsgrundsätze wie Achtsamkeit, Langsamkeit, Leichtigkeit, Variantenreichtum, Umkehrbarkeit – um nur einige zu nennen – lassen sich auf jede Lernsituation anwenden. Und die Erarbeitung einer Rolle ist nichts anderes als eine kreative Lernsituation. Proben bedeutet, auszuprobieren und möglichst viele Variationen auszutesten, um sich der stimmigsten Möglichkeit Schritt für Schritt anzunähern. So kann es beispielsweise ein aufschlussreiches Experiment sein, eine Szene gegen den Strich zu spielen: Die Darsteller haben die Aufgabe, in jedem Moment das Gegenteil dessen zu spielen, was die dramaturgische Logik eigentlich nahelegen würde. Das gleicht der Anweisung in einer ATM, die Bewegung absichtlich anstrengender zu machen, als sie sein müsste. Als Resultat wird der angestrebte Selbstgebrauch meist klarer, leichter und müheloser.

Wie sich Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen

Bei Alan Questel entdeckte ich, dass sich umgekehrt auch Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen. Als Schauspieler gilt es, für jede Handlung deren Absicht oder Motivation zu klären und sich bewusst zu sein, in welchem Kontext sie steht. Mit anderen Worten, man muss die Situation genau kennen, in der man als Figur handelt. In seinem Workshop „Creating Creativity“ unterrichtete Alan Questel eine ATM mit dem Titel „Intention – Action – Context“. Die Hauptbewegung ist das Rollen aus der Rückenlage auf eine Seite und wieder zurück. Die Variationen entstehen aus den unterschiedlichen Kontexten und Situationen, die man sich als Grundlage dieser Handlung vorstellen kann: Zum Beispiel früh morgens im Bett auf eine Seite rollen, um den Wecker auszumachen. Oder dasselbe mit der Vorstellung, neben einem liege jemand, den man nicht wecken möchte. Oder das Ganze in einer eiskalten Hütte in den Bergen voller Vorfreude auf eine lange geplante Bergtour und so weiter und so fort. Durch die veränderten Kontexte und Situationen verändert sich natürlich auch die Handlung des Rollens. Das ist ein exemplarischer schauspielerischer Vorgang. Am Ende der ATM hat sich das Gleiche vollzogen wie nach einer „normalen“ ATM. Der Bewegungsablauf ist fließender, geschmeidiger, integraler als zu Beginn, aber zugleich sind die Ausführenden wacher und präsenter.

Moshé Feldenkrais selbst schien zum Theater eine besondere Beziehung zu haben. Laut seinem Biographen Mark Reese liebte er es, ins Theater zu gehen, und 1975 bemerkte er in San Francisco, dass er – hätte er noch Zeit für eine weitere Karriere – gerne Schauspieler werden würde.[3] Er wusste erstaunlich gut über die Schauspielerei Bescheid. Vermutlich lag das nicht zuletzt an seiner langjährigen engen Freundschaft mit dem Ha-Bimah Schauspieler Aharon Meskin, von dessen Arbeitsweise er fasziniert war und mit dem er sich intensiv austauschte. Er hatte die Werke von K. S. Stanislawski[4] gelesen, kannte Lee Strasberg[5] und dessen Actors Studio und unterrichtete sowohl am Ha-Bimah Theater in Tel Aviv als auch Peter Brooks[6] Ensemble in Paris. In dem Interview mit dem Theatertheoretiker und Regisseur Richard Schechner (aus dem das vorangestellte Zitat stammt) formulierte er seine eigenen Ideen darüber, was Schauspieler brauchen, um erfolgreich zu sein. Eigentlich gibt es kaum Zweifel, dass die Feldenkrais-Methode für darstellende Künstler in besonderem Maße wertvoll ist.

Version 3Dennoch war es für mich im Theaterkontext wichtig, zu verstehen, dass mir Feldenkrais eine sehr konkrete Methodik zur Verfügung stellt, mit der ich bestimmte Resultate erreichen kann und andere nicht. Wenn ich mich selbst auf eine Vorstellung vorbereite, benutze ich eher selten reine Feldenkrais-Lektionen. Ich beginne vielleicht ein paar Minuten auf dem Boden mit einem Scan, um meine „Neutralität“ zu finden, mit der Schwerkraft und meinem Skelett in Kontakt zu kommen. Danach sind jedoch eher Übungen gefragt, die den Energiefluss anregen, das Raum- und Partnerbewusstsein steigern und die Reaktionsbereitschaft wecken. In dem erwähnten Interview sagt Richard Schechner zu Moshé Feldenkrais: Was Sie tun, ist eine grundlegende Schulung des Menschen.[7] Schauspielerinnen und Schauspieler lernen in Feldenkrais-Lektionen natürlich genau dasselbe wie alle anderen Feldenkrais-Praktizierenden auch. Ich erlebe das, was mit der Feldenkrais-Methode erreicht werden kann, als eine generelle Verbesserung der Infrastruktur meiner Handlungsfähigkeit. Mit den Bewegungs- und Wahrnehmungsexperimenten am Boden konnte ich die nötigen Grundlagen ausbilden und fördern, um in anderen Zusammenhängen wirksam und erfolgreich handeln zu können. Das war und bleibt selbstredend ein langfristiger (und wie die Geschichte mit meiner Stimme zeigt, zuweilen auch langwieriger) Prozess. Doch gerade diese Arbeit an den Grundlagen ist, wie ich finde, für alle darstellenden Künstler enorm lohnend, da sie mit der „Feldenkrais-artigen“ Herangehensweise auch ein Verfahren an die Hand bekommen, mit dem sie im Verlauf ihrer gesamten Karriere die Lernprozesse, die ihrem Beruf immanent sind, selbständig und kreativ handhaben können.

Darüber hinaus steht natürlich außer Frage, dass Schauspielerinnen und Schauspieler ein sehr spezifisches Handwerk beherrschen müssen, das durch ATM-Unterricht und wachsende Selbstbewusstheit nicht automatisch mit abgedeckt wird. Wenn jemand jedoch in „Bewusstheit durch Bewegung“ geschult, seine Infrastruktur folglich gut gepflegt ist, fällt es ihm bzw. ihr vermutlich leichter, schauspielerische Techniken zu erlernen, welche ja immer die körperlich-geistige Ganzheit der Person ansprechen sollten. Eine Schauspiel-Methode, die sich meiner Erfahrung nach mit Feldenkrais besonders gut verbinden lässt, ist jene von Michael Tschechow[8]. Tschechows Arbeit gründet auf Imagination und Bewegung und verlangt ein hohes Maß an Bewusstheit. Spielerisch und kreativ zielt sie darauf ab, die künstlerische Persönlichkeit der Schauspielerinnen und Schauspieler zu voller Entfaltung zu bringen. Tschechow entwickelte kein rigides System, das streng befolgt werden muss, sondern eine Fülle praktischer psycho-physischer Übungen, die ganz im feldenkraisischen Sinne erforscht, variiert und verinnerlicht werden sollen und sich gegenseitig befruchten.

Inzwischen ist Feldenkrais für Schauspielerinnen und Schauspieler kein Fremdwort mehr. An vielen Schauspielschulen kommen sie zumindest sporadisch mit der Methode in Berührung, an manchen Hochschulen, wie beispielsweise der HKB in Bern oder an der UdK in Berlin, erleben sie Feldenkrais sogar als festen Bestandteil des Lehrplans. Dennoch bilden die darstellenden Künste meiner Ansicht nach in Deutschland (noch) keinen natürlichen Nährboden für die Feldenkrais-Methode, vielleicht weil sie so grundlegend und ihre nachhaltige Wirkung nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Aber das Potential dafür ist vorhanden und vielleicht ist sogar eine Entwicklung in diese Richtung im Gange.

In meinen eigenen Workshops bin ich bestrebt, eine Arbeitsatmosphäre in Feldenkrais-artigem Geist zu schaffen. ATM-Lektionen benutze ich, um die Grundlagen der Arbeit zu legen und neue Ideen einzuführen, die dann mit Hilfe von Übungen aus schauspielspezifischen Trainings weiter erforscht und ausgearbeitet werden. Auf diese Weise möchte ich den Teilnehmenden Gelegenheit geben, sich selbst als „Attori poeti“ zu erfahren, als Autoren ihrer Rollen beziehungsweise ihrer Performances, auf dass sie sie mit den eigenen Fragen ans Leben durchdringen und bereichern können. Eine Arbeit, die selbstredend nicht mit einem Workshop oder einer Premiere endet, sondern sich im Idealfall wie eine Basslinie durchs ganze Leben zieht.


[1] Michael Tschechow, Lektionen für den professionellen Schauspieler, Berlin 2013.

[2] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144. [„Wenn ein Schauspieler gut ausgebildet ist, seines Körpers, seiner Augen, seines Mundes, seiner Willensäußerungen bewusst ist und das Innere mit dem Äußeren umfassenden Kontakt hat, kann er selbst entscheiden, was er tun möchte.“]

[3] Mark Reese, Moshé Feldenkrais: A Life in Movement, 2015; S. 73.

[4] Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863 – 1938), russ. Schauspieler, Regisseur und Schauspiellehrer.

[5] Lee Strasberg (1901 – 1982) US-amerikanischer Schauspiellehrer und Regisseur, Begründer des Method Actings.

[6] Peter Brook (geb. 1925), britischer Theaterregisseur, einer der prägendsten Vertreter des modernen Theaters im 20 .Jhdt.

[7] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144.

[8] Michael A. Tschechow (1891 – 1955), russ. Schauspieler und Schauspiellehrer; Neffe des Dramatikers Anton Tschechow.

Lebensträume

„A healthy person is one who can live fully his unavowed dreams.“ – (Moshé Feldenkrais, „On Health.“ Dromenon, 1979)

Haben die Träume deiner Kindheit einen Platz in deinem Leben als Erwachsener? Tust du das, was du bewusst oder unbewusst schon immer gerne getan hättest? Hast du das Gefühl, auf dem für dich richtigen Weg zu sein?

Moshé Feldenkrais Maß für Gesundheit war nicht die An- oder Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit eines Menschen, seine bewussten und unbewussten Träume zu leben! Dabei dachte er vor allem an die sinnesreichen Träume, die wir in der Kindheit und Jugend hatten, bevor all die praktischen Themen des Lebens unser Verhalten zu dominieren begannen. Vielleicht der Wunsch zu malen, Gedichte zu schreiben, zu tanzen, zu singen, Theater zu spielen oder eine Weltreise zu unternehmen – um nur wenige markante Beispiele zu nennen. Vielleicht handelt es sich auch um eine spezielle, ganz individuelle Art und Weise, eine bestimmte Tätigkeit auszuführen und das eigene Leben zu gestalten. Wir alle haben solche Träume während wir aufwachsen. Oft beinhalten sie die Sehnsucht, einen einzigartigen Aspekt der eigenen Persönlichkeit mit Anderen und der Welt zu teilen. Etwas, das uns ganz und gar mit Lebendigkeit, Präsenz und Freude erfüllt, etwas, das uns spüren lässt, wer wir im Grunde wirklich sind.

Es scheint heute nahezu eine Kunst zu sein, ein Leben zu führen, bei dem man sowohl mit den eigenen Träumen in Kontakt bleiben als auch seinen Verpflichtungen angemessen nachkommen kann. Dabei dürften diese beiden Aspekte des Lebens kein Widerspruch sein, im Gegenteil: Für ein erfülltes, vitales und befriedigendes Leben müssen sie Hand in Hand gehen!

Lebensumstände oder eine Arbeit, die sämtliche Träume und tieferen Aspekte des Selbst außen vor lassen, können weder erfolgreich noch gesund sein. Wenn die Anforderungen der sozialen und beruflichen Rollen so dominant werden, dass die Lebensbalance in eine schwere Schieflage gerät, fühlen wir uns nicht nur gestresst, sondern tief innen auch unehrlich uns selbst gegenüber, weil ein wesentlicher Teil fehlt. Dieses Gefühl, irgendwie unvollständig zu sein, kann etwas Gutes haben und uns zu den Träumen zurückführen, die uns tief im eigenen Inneren motivieren und antreiben.

Meine Erfahrung ist: Wenn man über längere Zeit regelmäßig Feldenkrais praktiziert, stößt man allmählich unweigerlich auf die tieferen Motivationen und verborgenen Träume, die in einem schlummern. Diese Art der achtsamen, ganzheitlichen Körperarbeit hilft einem, Stück für Stück besser zu erkennen wer man wirklich ist und drängt einen dazu, dem Leben zu verleihen, was man entdeckt.

„Auch in unserer Kultur gelingt es Einigen, ihren gesunden Lebensprozess bis ins hohe Alter zu kultivieren – ein Alter in dem die Ungesunden bereits kauzig und krank sind. (…) Der herausragende Unterschied zwischen solch gesunden Leuten und den Anderen ist, dass sie, sei es per Zufall, durch Genie oder weil sie einen gesunden Lehrer hatten, herausgefunden haben, dass Lernen das Geschenk des Lebens ist. Sie lernen zu erkennen, wie sie handeln und sind deshalb in der Lage zu tun, was sie wollen – ihre verborgenen und zuweilen bewussten Träume intensiv zu leben.“ – (Moshé Feldenkrais, „On Health.“ Dromenon, 1979)

Zusammen mit meiner Kollegin Kerstin Graß, die als Personal Coach ein wirksames Handwerkszeug besitzt, mit dessen Hilfe man an der Verwirklichung seiner Träume arbeiten kann, biete ich am 3. und 4. Februar 2012 ein Wochenendseminar „Inspiration Lebenstraum an. Es soll eine Werkstatt sein, in der die Teilnehmenden mit den Quellen der eigenen Träume in Kontakt treten können. Feldenkrais-Stunden, Imaginationsübungen und verschiedene Coaching-Techniken werden einen sicheren, gut geführten Rahmen bieten, um sich mit den schlummernden oder bereits erwachenden Lebensträumen auseinander setzen zu können und erste Schritte zu ihrer Verwirklichung zu finden. (Mehr unter Cordoror)

Tatort-Kommissarin macht Feldenkrais

Ulrike Folkerts, die im Ludwigshafener „Tatort“ die Hauptkommissarin Lena Odenthal spielt, nimmt seit Jahren Feldenkrais-Stunden. In ihrem Buch „Das macht mich stark“ widmete sie der Feldenkrais-Methode ein ganzes Kapitel. Im Folgenden ein paar Zitate:

„Es sind spannende Momente wenn man neue Bewegungsabläufe in seinem und durch seinen Körper entdeckt.(…)

 Ich bekam einen Tipp von Lena Odenthals Kollegen Kriminaloberkommissar Mario Kopper. Versuch’s doch mal mit Feldenkrais. Ich hatte keine Vorstellung davon, was sich dahinter verbergen könnte. Aber neugierig, wie ich bin, war ich bereit für ein Abenteuer. Ich fand eine sehr sympathische Feldenkrais-Lehrerin und eine behagliche Atmosphäre (…) Ich hatte immer wieder stressbedingte Verspannungen im Nacken und Rücken und weil unser Leben schon schnell genug geht, entdeckte ich mit Feldenkrais
sehr gerne die Langsamkeit.(…)


 „Was mir besonders gefiel war die Tatsache, dass es bei Feldenkrais überhaupt nicht darum geht, falsche oder schlechte Gewohnheiten irgendwie auszumerzen. Die Feldenkrais-Methode zielt auf ein körperliches Lernen, auf Lernprozesse durch Bewegung, die Veränderungen in der inneren und äußeren Haltung anregen. (…) Der Sinn des Ganzen besteht darin festzustellen, wie das Gehirn mit einer neuen Situation zunächst zurechtkommt. Das Gehirn fühlt sich aus den gewohnten Bahnen geworfen und muss etwas umbauen. (…) Ich lernte, wie sich seelische Verspannungen, die sich in körperlichen zeigen, verändern können. (…) Ich entdecke Fähigkeiten in meinem Körper und mit meinem Körper, die ich längst vergessen hatte. Ich lerne neu. Ich lerne um. Rein theoretisch können wir unser ganzes Leben lang so lernen, ich habe mein eigenes Potenzial auf diesem Wege überhaupt erst entdeckt.“

„Die Methode macht ehrlich. Wenn man will, bekommt man dadurch einen Zugang zu seinen Gefühlen und gleichzeitig Entspannung und Bewusstheit.“ (Ulrike Folkerts)

Befreundet mit sich selbst

Die Schriftstellerin Christa Wolf beschreibt in ihrem Buch »Ein Tag im Jahr« die Wirkung von Feldenkrais-Stunden sehr treffend mit einem Gefühl des Befreundet Seins und des Einverständnisses mit sich selbst.

 Im Alltag achten wir meist kaum auf die subtileren Empfindungen und Rückmeldungen unseres Körpers. Im Gegenteil — derlei Befindlichkeiten sind uns hinderlich oder gar ein Ärgernis und wir unterdrücken oder ignorieren sie. Der Körper ist uns meist nicht mehr als ein notwendiges Werkzeug, das uns zu Diensten sein soll. Wir sind uns selbst gegenüber oft viel strenger und fordernder, als wir es gegenüber einem Freund jemals sein würden.

Bei Feldenkrais geht es um einen anderen Umgang mit sich selbst. Anhand von präzisen, spielerisch durchgeführten Experimenten studieren die Teilnehmenden ihre persönliche Bewegungsroutine und lernen schrittweise neue Bewegungsqualitäten kennen. Dabei steht die Suche nach einem angemessenen Kraftgebrauch und die Entdeckung von mehr Leichtigkeit, Geschmeidigkeit sowie erstaunlicher Feinheiten bei jeder noch so einfachen körperlichen Handlung im Vordergrund.

„Was mich an Feldenkrais‘ Art, den Menschen zu sehen, besonders fesselt, ist sein Ansatz. Nicht Ratio oder Willensstärke, nicht Gewalt in irgendeinem noch so weit gefassten Sinn, auch nicht »Selbstbeherrschung« hält er für den Schlüssel zur Heilung der grundlegenden Schäden, an denen der moderne Mensch krankt, sondern ein Umlernen des falsch Gelernten, Angewöhnten und Eingetrimmten, das bei Körperhaltungen und -bewegungen anfängt und beim rein einseitigen Vernunftdenken (noch nicht) aufhört.“ (Christa Wolf, »Ein Tag im Jahr«)

Feldenkrais als Burn-out Prävention

Nicht erst, seit der Fußballtrainer Ralf Rangnick zurückgetreten ist, der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Björn Engholm als Anti-Burn-out-Berater tätig wurde oder der Spiegel seine Titelstory dem Thema widmete, ist Burn-out in aller Munde. Manche argwöhnen bereits, es handle sich um eine reine Modeerscheinung, aber die Tatsache, dass sich immer mehr Menschen vom Druck, der Komplexität und der schieren Menge der täglichen Anforderungen überfordert fühlen, lässt sich nicht einfach wegdiskutieren. Auch ich spüre die Belastungen eines anspruchsvollen Alltags mit den unterschiedlichsten Aufgaben in Familie und selbständiger Tätigkeit ständig. Es kann eine große Herausforderung sein, sich selbst genügend Erholungs- und Mußezeit zu verschaffen und wirksame Maßnahmen zum Ausgleich zu ergreifen. Aber Burn-out ist mehr als Stress und Überforderung, es ist das Resultat eines langen Prozesses der Erschöpfung und Desillusionierung bis hin zu einem Gefühl totaler Sinnlosigkeit.

Ich bin dankbar und glücklich, die Feldenkrais-Methode zu kennen und mit ihr über ein wirksames Werkzeug zu verfügen, das mir nicht nur hilft, mich zu erholen und auf meine Herausforderungen besser einzustellen, sondern das auch eine Quelle vieler sinnlicher (und damit sinn-stiftender) Erfahrungen ist. Ein Mangel an Sinnlichkeit durch die enorme Technisierung des Alltags, wird häufig als Grund für die extreme Zunahme des Burn-out-Syndroms in unserer Gesellschaft genannt. Mit Hilfe der Feldenkrais-Übungen „Bewusstheit durch Bewegung“ erlebe ich mich selbst auf sehr einfache, ursprüngliche Weise. Eine Feldenkrais-Stunde gibt mir einen freien Raum, in dem nichts anderes als meine Erfahrung des Augenblicks zählt. Ich bin im Kontakt mit meiner Innenwelt, mit meinen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Dadurch kann ich früher und genauer erkennen, wann und wie ich meine Grenzen überschreite, auf subtile Weise meine Überzeugungen verletze oder gegen meinen Willen handle. Zugleich gibt mir die Methode Mittel an die Hand, um einem drohenden Zusammenbruch frühzeitig entgegenzuwirken und mich sowohl körperlich als auch emotional und geistig für meine Aufgaben besser zu organisieren. Das heißt nicht, dass ich mich immer in perfekter Balance befände aber ich kann sie viel schneller als früher wieder erlangen.

Ich glaube, dass die Feldenkrais-Methode für mich eine ideale Burn-out Prävention ist und neben Musik, Wald-Spaziergängen mit meiner Tochter und noch ein paar anderen Dingen viel dazu beiträgt, mich vor dem Ausbrennen zu bewahren…