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Zeitgemäßes und intelligentes Schauspieltraining

Rezension von Victoria Worsleys Buch „Feldenkrais for Actors“ von David Jeker 

(zuerst veröffentlich 2018 im Feldenkrais Forum 102)

„Wenn dir jemand sagen würde, dass es etwas gibt, das absolut wesentlich für die Charakteristik menschlichen Verhaltens ist, etwas, das die Art und Weise von allem bestimmt, was Menschen tun, etwas, das so fundamental für das Leben ist, dass niemand ohne es auch nur einen Moment überleben könnte – würdest du als Schauspieler dann nicht alles, was du darüber finden kannst, wissen wollen?“ (S. 1, Übersetzung der Buchzitate: David Jeker)

Mit diesen Worten wendet sich Victoria Worsley in der Einleitung ihres Buches Feldenkrais for Actors an Schauspieler*innen und Schauspielstudent*innen, die häufiger als man vielleicht denken könnte, an Sinn und Zweck von Körper- und Bewegungstraining für ihre Profession zweifeln. Die Frage beantwortet sie sogleich mit Moshé Feldenkrais’ berühmter Aussage, dass Leben ohne Bewegung nicht möglich wäre und es folglich auch keine Handlungen und keinerlei Ausdruck gäbe. „Könntest du lachen, weinen, lächeln, wütend werden, ohne Bewegung zu verwenden? Bewegung ist die Substanz des Lebens! Warum in aller Welt, solltest du sie nicht aus allen Perspektiven studieren? Wäre es im Grunde nicht äußerst sonderbar, es nicht zu tun?“ (S. 2)

Sie legt mit wenigen Worten plausibel dar, dass die Art und Weise, wie wir gelernt haben uns zu bewegen, unseren Körper und unser Verhalten formt. Und was tun SchauspielerInnen im Kern anderes, als menschliches Verhalten zu studieren und zu verkörpern?

Kompetente Einführung in die Feldenkrais-Methode

Victoria Worsley ist eine Schauspielerin und Feldenkrais-Lehrerin aus England. Der Feldenkrais-Methode begegnete sie bereits als 17-jährige Schauspielschülerin bei Monika Pagneux, die in den 1970er-Jahren in Paris Moshé Feldenkrais persönlich kennengelernt hatte. Pagneux arbeitete damals als Bewegungsregisseurin in Peter Brooks[1] Centre International de Recherches Theatrales und integrierte im Folgenden die Feldenkrais-Methode in ihr Training. Victoria Worsley war also schon seit vielen Jahren mit der Feldenkrais-Methode vertraut, als sie von 2003 bis 2007 ihr Feldenkrais-Training bei Garet Newell in Lewes (UK) absolvierte. Seither unterrichtet sie die Methode an verschiedenen Schauspielschulen und in eigener Praxis in London. Mit ihrem Buch richtet sie sich in erster Linie an professionelle Schauspieler*innen und Schauspielstudent*innen, zugleich schreibt sie aber eine kompetente und detailreiche Einführung in die Feldenkrais-Methode und arbeitet alle denkbaren Bezüge zur Bühnenkunst heraus. 

Bereits der Aufbau des Buches bietet einen guten Überblick über die Themen, die sie abdeckt: Es ist in sechs Teile unterteilt, die alle jeweils ein bis zwei Feldenkrais-Lektionen und mehrere Übungen beinhalten. Es beginnt im ersten Teil, „Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst“, mit einem Überblick über die Vorgehensweise, woraus sich die Kapitel „Wissen, was man tut“ und „Lernen, das zu tun, was man will“ ableiten. Es geht weiter mit „Präsenz und Körperhaltung“, worin sie beschreibt, wie man sich mithilfe von Feldenkrais in einen offenen und reaktionsbereiten Zustand versetzen kann, der einen für kreative Prozesse bereit macht. Sie betont die Bedeutung des Hier und Jetzt und die Fähigkeit, einen offenen Fokus zu kultivieren, der es erlaubt, mit der Aufmerksamkeit nicht nur bei sich selbst, sondern auch im Raum und bei den Mitspieler*innen zu sein. Dann hebt sie die enorme Bedeutung einer dynamischen Stabilität (Acture) für lebendige und ausdruckstarke Präsenz hervor und macht dies mit Hilfe der Lektion „Das Pendel“ erlebbar. In dieser Lektion im Stehen erprobt man, wie durch viele kleine Abweichungen von der Mitte allmählich ein klareres Gefühl für die Mitte entstehen kann.

Der zentrale Abschnitt des Buchs: Körper, Emotionen, Figurenarbeit und Kreativität

Im dritten Teil widmet sie sich der Ökonomie des Kraftgebrauchs und zieht dafür viele Parallelen zu Moshé Feldenkrais’ Hintergrund als Kampfkünstler. Die Wichtigkeit von gut geschultem, differenziertem Kraftgebrauch spielt auch im vierten Teil eine große Rolle, wo Victoria Worsley auf den Zusammenhang zwischen Körper, Emotionen, Figurenarbeit und Kreativität eingeht. In diesem zentralen Abschnitt des Buches geht es zunächst um das Verständnis der Einheit von Körper und Geist, das auch von großem praktischen Interesse für jede Schauspieltechnik ist. Diesbezüglich hält das Werk von Moshé Feldenkrais sehr konkrete Antworten bereit. Im Gegensatz zur populären Annahme, Gefühle und Emotionen seien in erster Linie mentale Zustände, zeigt Victoria Worsley dass im Bezug auf die Schauspielerei vor allem die physiologischen Aspekte und die Auswirkungen auf die Bewegung von Bedeutung sind: „In jedem Gefühlszustand […] gibt es überall in deiner Physiologie Verlagerungen und Verschiebungen, welche den Atem, den Herzschlag, den Blutfluss, den Muskeltonus, die Eingeweide und manchmal sogar das Immunsystem beeinflussen.“ (S. 162) Daraus folgt, dass Gefühle in erster Linie an den körperlichen Veränderungen und den dadurch veränderten Qualitäten des Verhaltens abgelesen werden können. 

Immer wieder schlägt Victoria Worsley den Bogen zu verschiedenen bekannten Schauspiellehrern wie beispielsweise Konstantin S. Stanislawsky, Michael Tschechow, Uta Hagen und Sandford Meisner, um nur einige zu nennen. Eine wesentliche Idee der Schauspielerei beinhaltet den Begriff der Durchlässigkeit: Schauspieler übermitteln etwas, das sie innen fühlen, nach außen. Ihre Körper müssen durchlässig genug sein, um das zu ermöglichen. Peter Brook sagte: Schauspieler machen das Unsichtbare sichtbar.

All die oben genannten Lehrer wussten, dass muskuläre Spannungen den emotionalen Ausdruck stören und alle hatten Entspannungsübungen im Repertoire. Aber nicht mit allen Übungen kommt man den tiefliegenden Haltemustern bei. Victoria Worsley legt sehr überzeugend dar, dass Feldenkrais dafür einen besonders hochentwickelten Ansatz bietet. 

Immer wieder zeigt sie durch konkrete Übungen auf, wie die feldenkraisische Herangehensweise schauspielerische Fragestellungen beantworten kann. In der Übung Standing in the Sand (S. 191, „Im Sand stehen“) erforschen zwei oder drei Personen, wie sich das eigene Selbstbild subtil verändert, wenn sie den Fußabdruck des/der anderen übernehmen. Es wird sehr schön sichtbar, dass Schauspielerei viel mit einem flexiblen, bewusst veränderbaren Selbstbild zu tun hat.

Im fünften Teil widmet sich Victoria Worsley dann dem ebenfalls elementaren Thema „Stimme und Atem“. Sie zeigt funktionale Zusammenhänge zwischen Aufrichtung, Kopf, Kiefer, Zunge und Augen auf und ermöglicht durch feldenkraisartige Übungen, die sie „Spiele“ nennt, und Feldenkrais-Lektionen wie Pecking and Chicken WingsSee-Saw Breathing, und Painting Your Mouth konkrete, nachvollziehbare Erfahrungen. 

Schließlich geht sie im letzten Teil der Frage nach, wie Angst und die Nachwirkungen von Verletzungen sich auf Präsenz und Ausdrucksfähigkeit auswirken können und wie wirkungsvoll solchen Problemen mit nachhaltiger Feldenkrais-Arbeit begegnet werden kann. 

Das Buch macht eindrücklich klar, wie essenziell die Feldenkrais-Methode für Schauspieler*innen sein kann. So wie die Methode einem allgemeinen Publikum ermöglicht, mithilfe fein differenzierter Bewegung sich selbst besser kennen und leiten zu lernen, um das eigene Leben mit mehr Selbstkompetenz und Bewusstheit zu gestalten, so ermöglicht sie Profis auf der Bühne, ihr Instrument – also sich selbst als ganze Menschen – achtsamer, authentischer, geschickter und präziser einzusetzen. All dies durch ein hingebungsvolles Studium der Lebensgrundlage Bewegung in all ihren Ausprägungen. 

Allen, die des Englischen mächtig sind und die sich für Körperarbeit im Kontext von Theater und Auftrittskompetenz interessieren, sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Victoria Worsley, Feldenkrais for Actors. How to Do Less and Discover More [Feldenkrais für SchauspielerInnen. Weniger tun und mehr entdecken]. London, Nick Hern Books Limited, 2016


[1] Peter Brook (geb. 1925), britischer Theaterregisseur, einer der prägendsten Vertreter des modernen Theaters im 20. Jahrhundert

Feldenkrais und Schauspiel

Ein persönlicher Erfahrungsbericht von David Jeker

[Zuerst veröffentlicht in der Mitgliederzeitschrift des FVD Feldenkrais-Verbands Deutschland e.V.: Feldenkraisforum 93 / Mai 2016 ]

„Wir verfügen nur über ein Instrument, um dem Publikum unsere Gefühle, unsere Emotionen, unsere Ideen zu vermitteln: den eigenen Körper.“ – (Michael A. Tschechow)[1]

Seit ich während meiner Schauspielausbildung eine erste flüchtige Bekanntschaft mit der Feldenkrais-Methode machte, führen Schauspielerei und Feldenkrais in mir eine lebendige Beziehung, die – wie das bei Beziehungen eben so ist – nicht immer frei von gelegentlichen Schwierigkeiten und Konflikten war, in der Summe aber äußerst fruchtbar verläuft. Was ich in den etwa fünfundzwanzig Jahren dieser Beziehung an Schwierigkeiten, Erkenntnissen und Entwicklungen erlebt habe, soll Thema des folgenden Artikels sein und zugleich eine Reflexion auf die Frage, ob das Theater ein natürlicher Nährboden für die Feldenkrais-Methode ist.

Version 5

Meine erste professionelle Begegnung mit der Schauspielerei hatte ich anlässlich eines ausgedehnten Workshops mit der italienisch-argentinischen Theatertruppe Teatro Nucleo. Dieses Ensemble arbeitete in der Tradition des Körpertheaters der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dementsprechend intensiv war das Training mit akrobatischen Übungen, Stockkampf und choreographischen Abfolgen selbst entwickelter Bewegungsvokabeln. Hinzu kamen Improvisationen, szenische Experimente, Exkurse in die Theater- und Kunstgeschichte sowie in Psychologie und Philosophie. Ich lernte einen Begriff kennen, der für mich einen verführerischen Klang hatte: „L’attore poeta“, der Schauspieler als Poet, beziehungsweise als Autor seiner Rolle. Die Welt, die sich mir damals eröffnete, war voller Möglichkeiten, Energie und Poesie. Ich war mit einer Profession konfrontiert, in der die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit der psycho-physischen Ganzheit eine Voraussetzung war. Täglich im Proberaum mehrere Stunden Körper und Geist zu trainieren, herauszufordern und zu befragen wurde zur Gewohnheit. Die Erfahrungen mit dem Teatro Nucleo beeinflussen meinen Weg in gewisser Weise bis heute. Jedenfalls habe ich damals begonnen, es als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten, dass Schauspielerei eine eigenständige, künstlerische Persönlichkeit verlangt, die reifen, sich entwickeln und entfalten möchte und dass Bewegung dabei eine zentrale Rolle spielt.

Ich erwähne dies so ausführlich, weil eine solche Vorstellung von Schauspielerei nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Dies genauer zu analysieren und zu beschreiben, hat hier keinen Platz und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Nur soviel: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Schauspieler zu sich selbst als Instrument kaum eine bewusste Beziehung haben. Bei der Vorbereitung auf Vorstellungen bedienen sich viele – wenn sie denn mehr tun, als eine Zigarette vor dem Auftritt zu rauchen – relativ wahllos irgendwelcher Übungen, an die sie sich aus dem Sprechunterricht an der Schauspielschule, aus Yoga oder Sport erinnern. An all dem ist nichts auszusetzen, aber häufig wirkt es etwas hilflos, und mir scheint, als wüssten überraschend viele nicht, was ihnen wirklich helfen könnte, um sich zweckmäßig auf den Zustand der Darstellung vorzubereiten.

Wir entwickeln uns lebenslänglich weiter und reifen wie ein kostbarer Wein

Die Feldenkrais-Methode lernte ich eher zufällig 1991 an der Schauspielschule in Bern kennen. Einer meiner Sprechlehrer gab mir eine Audiokassette mit zwei von Franz Wurm gesprochenen Atemlektionen, um mir bei meinen damaligen Stimmproblemen zu helfen. Ich hatte bis dahin noch nie etwas von Feldenkrais gehört, aber die langsamen Experimente mit mir selbst unter Anleitung dieser ruhigen, sonoren Stimme (die ich fälschlicherweise jahrelang für jene von Moshé Feldenkrais hielt), taten mir gut und weckten meine Neugierde. Ich begann irgendwann das Buch Bewusstheit durch Bewegung zu lesen und probierte in meinem Zimmer einzelne Bewegungssequenzen aus. Ihre Wirkung faszinierte mich, auch wenn ich nicht wirklich verstand, was da vor sich ging. Immer wenn ich im Leben gerade nicht weiter kam, stieß ich auf ein Buch von Moshé Feldenkrais und hatte das Gefühl, in der Methode dieses Mannes müsse die grundsätzliche Lösung meiner Fragen zu finden sein. Besonders seine Überzeugung, dass wir uns als Menschen lebenslänglich weiter entwickeln und reifen wie ein kostbarer Wein, der, je älter er wird, immer besser wird, hatte es mir angetan. Zudem ermutigte es mich in Bezug auf die Schwierigkeiten mit meiner Stimme, die sich als hartnäckig herausstellten und nicht kurzfristig zu beheben waren, obwohl ich mit allen möglichen Methoden intensiv die Stimme trainierte. Tiefergehend änderte sich daran erst etwas während meines Feldenkrais-Trainings von 2000 bis 2004 in Basel.

Wurde ich zu Beginn meiner Karriere als Schauspieler regelmäßig etwas besorgt gefragt, was denn eigentlich mit meiner Stimme los wäre, kamen nun immer häufiger Leute auf mich zu, die mich auf meine „interessante“ Stimme ansprachen – was durchaus positiv gemeint war. Für mich ist heute klar, dass diese Veränderung mit den vielen ATM-Lektionen zu tun hatte, die ich während der Ausbildung genoss. Ganz allmählich begann sich der obere Bereich meines Brustkorbs aufzurichten und die chronischen Verspannungen entlang des Stimmkanals um den Kehlkopf, im Hals und im Nacken nahmen ab. Es verging beinahe ein weiteres Jahrzehnt, bis ich immer öfter ein Lob auf meine „angenehme, beruhigende“ Stimme hörte. Hätte mir an der Schauspielschule jemand gesagt, dass es zwanzig Jahre dauern würde, um mein „Stimmproblem“ nachhaltig zu beeinflussen, es wäre frustrierend gewesen. Aber heute bin ich froh, nicht aufgegeben zu haben. Obwohl das nicht einmal ganz der Wahrheit entspricht, denn irgendwann hatte ich es aufgegeben, Stimmübungen zu machen, da sie scheinbar sowieso nichts brachten. Selbst dies sehe ich heute als einen wichtigen „feldenkraisischen“ Schritt. Ich hatte meine Zielfixierung aufgegeben und mir dadurch Druck genommen.

Auch jenseits des Stimmthemas war mir klar, dass die Feldenkrais-Methode meine Arbeit als Schauspieler positiv beeinflusst. Schließlich war ich es gewöhnt, den eigenen Körper, Bewegung mit all ihren Facetten, ja die ganze eigene Person als mein zentrales Ausdrucksmittel zu verstehen. Eine ganzheitliche Methode, bei der es um Selbsterforschung, Selbsterkenntnis und Selbstkompetenz geht, ist doch genau das, was wir brauchen! Dennoch fiel es mir enorm schwer, anderen Kollegen zu erklären wie Feldenkrais konkret der Schauspielerei dienen kann. Für die meisten sah es einfach nach Entspannung aus – sicherlich eine willkommene Abwechslung zum stressigen Probenalltag –, aber die Idee, es könnte sich um ein fundamentales Werkzeug zur Aus- und Weiterbildung ihrer Fähigkeiten handeln, erschien ihnen abwegig. Manche fanden es auch einfach zu introvertiert, zu langsam, zu unspektakulär. Ein Schauspielkollege, der seine Ausbildung in Belgien absolviert hatte, erzählte mir sogar, dass der dortige Leiter der Schauspielschule die Feldenkrais-Stunden aus dem Lehrplan strich, weil er angeblich mit den Studenten nach einer Feldenkrais-Lektion nicht mehr proben konnte.

Ich wusste gut, was damit gemeint war. Tatsächlich befand auch ich mich am Ende einer Lektion selten in einem geeigneten Zustand, um aufzutreten. In einem Advanced-Training sagte Larry Goldfarb nach einer ATM scherzhaft: „Do your famous Feldenkrais-Zombiewalk.“ Das traf den Nagel auf den Kopf. Durch Larrys Unterricht verstand ich auch den Grund dafür: Eine Feldenkrais-Stunde verlangt unter anderem eine vorübergehende Regression. Wir begeben uns in der Bewegungsentwicklung ein paar Stufen zurück, um bestimmte Zusammenhänge und Differenzierungen zu studieren, und am Ende der Stunde tauchen wir gerade aus den Tiefen dieser Reise wieder auf. Die meisten ATMs, die ich in meiner Ausbildung oder bei Feldenkrais-Lehrern in dieser Zeit erlebte, endeten mit einem Gang durch den Saal, der nicht selten genau so ein „Zombiewalk“ war, und der sich dann bestenfalls zu einem Aufwachspaziergang in Richtung Kaffeemaschine entwickelte. Das genügte als Alltags-Referenz. Einerseits hatten wir ja alle häufig genug gehört, dass die Wirkung der Stunde sich irgendwie untergründig in unserem Bewegungsrepertoire etablieren würde, andererseits schlugen wir uns mehr schlecht als recht mit der berühmten Frage nach dem Transfer des Erlebten in den Alltag herum. Um zur Schauspielerei zurückzukehren: zwischen dem Ende einer Feldenkrais-Lektion am Boden und der konkreten Arbeit auf der Bühne gab es eine gewaltige Lücke. Das war offensichtlich, und doch brauchte ich ziemlich lange, um zu verstehen, wie ich als Feldenkrais-Lehrer eine Brücke bauen konnte, wenn ich mit Theaterkollegen oder Schauspielstudenten Feldenkrais machen wollte.

Als ich eine Anfrage bekam, an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel Körperarbeit für die Bühne zu unterrichten, musste ich für dieses Problem endgültig eine Lösung finden. Zudem war klar, dass ich dort nicht nur ATM unterrichten konnte. Ich war gefordert, meine Erfahrungen als Schauspieler mit den Feldenkrais-Prinzipien zu verbinden.

Feldenkrais RolleJust in jener Zeit besuchte ich einen Workshop von Moti Nativ über die Wurzeln der Feldenkrais-Methode in den Kampfkünsten. In diesem Workshop entdeckte ich einen wesentlichen Link, um die genannte Lücke zu schließen. Bei Moti Nativ spielte es kaum eine Rolle, ob man gerade am Boden eine ATM machte oder eine Technik aus der Kampfkunst trainierte. Sein Unterricht war ein Ganzes, egal ob wir uns am Boden oder im Stehen, schnell oder langsam, kraftvoll oder ganz leicht bewegten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Sobald die Orientierung im Raum dazu kam und die Funktionalität einer Kampfkunsttechnik, entstanden spontan Präsenzund Reaktionsbereitschaft. Der Schlüssel war der Gebrauch der Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, dass ich die Gewohnheit hatte, entweder meine Aufmerksamkeit bewusst nach innen zu richten, um zu spüren und sensorische Wahrnehmungen zu beobachten, oder sie bewusst nach außen in den Raum zu projizieren, um zu kommunizieren, mich zu orientieren oder zu handeln. Die dritte Möglichkeit, die sich mir in diesem Workshop eröffnete, war mir zuvor nicht wirklich bewusst: mit meiner Innenwelt und der Außenwelt gleichzeitig und gleichermaßen in Kontakt zu sein und zu handeln.

Eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen

Für mich war es eine buchstäbliche Entdeckung des Selbstverständlichen. Vor dieser Erfahrung hatte ich eine immense Scheu, große, ausladende Bewegungen in meinen Unterricht einzubauen, und schnelle Bewegungen waren quasi tabu. Nun verstand ich, wie ich die Grundsätze der Methode auf das ganze Spektrum möglicher Handlungen anwenden konnte, und mir wurde klar, wie ich am Ende einer ATM mit einer Veränderung des Aufmerksamkeitsfokus und ein paar Variationen des Tempos das Auftauchen aus dem regressiven „Zombiezustand“ bis hin zu wacher psycho-physischer Präsenz und Reaktionsbereitschaft weiterführen konnte. Im Nachhinein erscheint mir diese Erkenntnis banal. Ich hatte einfach einen wesentlichen Aspekt der Methode übersehen. Um es abgewandelt mit Moshé Feldenkrais‘ Worten zu sagen: mein Inneres hatte mit dem Äußeren keinen umfassenden Kontakt.[2]

Durch Feldenkrais habe ich verstanden, wie wichtig die Rahmenbedingungen fürs Lernen sind. Im Theater sind diese Bedingungen nicht immer optimal. Es herrscht meist enormer Termindruck, das Ziel (die Premiere) beherrscht alles, die Kommunikationskultur ist zuweilen nicht die gediegenste. In meinen Schauspiel-Workshops versuche ich den offenen Geist der Feldenkrais-Methode ins Theater bringen: ich verstehe sie als Labor, in dem die Teilnehmenden in einer Atmosphäre der Neugierde und Achtsamkeit ohne Konkurrenzdruck mit sich und ihren Ausdrucksmöglichkeiten experimentieren können. Fehler und Irrwege sind ausdrücklich erlaubt und Teil dieses Prozesses. Anders gesagt: Auch eine Schauspielübung oder eine Probe kann wie eine ATM gestaltet werden! Arbeitsgrundsätze wie Achtsamkeit, Langsamkeit, Leichtigkeit, Variantenreichtum, Umkehrbarkeit – um nur einige zu nennen – lassen sich auf jede Lernsituation anwenden. Und die Erarbeitung einer Rolle ist nichts anderes als eine kreative Lernsituation. Proben bedeutet, auszuprobieren und möglichst viele Variationen auszutesten, um sich der stimmigsten Möglichkeit Schritt für Schritt anzunähern. So kann es beispielsweise ein aufschlussreiches Experiment sein, eine Szene gegen den Strich zu spielen: Die Darsteller haben die Aufgabe, in jedem Moment das Gegenteil dessen zu spielen, was die dramaturgische Logik eigentlich nahelegen würde. Das gleicht der Anweisung in einer ATM, die Bewegung absichtlich anstrengender zu machen, als sie sein müsste. Als Resultat wird der angestrebte Selbstgebrauch meist klarer, leichter und müheloser.

Wie sich Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen

Bei Alan Questel entdeckte ich, dass sich umgekehrt auch Theatergrundsätze auf eine ATM anwenden lassen. Als Schauspieler gilt es, für jede Handlung deren Absicht oder Motivation zu klären und sich bewusst zu sein, in welchem Kontext sie steht. Mit anderen Worten, man muss die Situation genau kennen, in der man als Figur handelt. In seinem Workshop „Creating Creativity“ unterrichtete Alan Questel eine ATM mit dem Titel „Intention – Action – Context“. Die Hauptbewegung ist das Rollen aus der Rückenlage auf eine Seite und wieder zurück. Die Variationen entstehen aus den unterschiedlichen Kontexten und Situationen, die man sich als Grundlage dieser Handlung vorstellen kann: Zum Beispiel früh morgens im Bett auf eine Seite rollen, um den Wecker auszumachen. Oder dasselbe mit der Vorstellung, neben einem liege jemand, den man nicht wecken möchte. Oder das Ganze in einer eiskalten Hütte in den Bergen voller Vorfreude auf eine lange geplante Bergtour und so weiter und so fort. Durch die veränderten Kontexte und Situationen verändert sich natürlich auch die Handlung des Rollens. Das ist ein exemplarischer schauspielerischer Vorgang. Am Ende der ATM hat sich das Gleiche vollzogen wie nach einer „normalen“ ATM. Der Bewegungsablauf ist fließender, geschmeidiger, integraler als zu Beginn, aber zugleich sind die Ausführenden wacher und präsenter.

Moshé Feldenkrais selbst schien zum Theater eine besondere Beziehung zu haben. Laut seinem Biographen Mark Reese liebte er es, ins Theater zu gehen, und 1975 bemerkte er in San Francisco, dass er – hätte er noch Zeit für eine weitere Karriere – gerne Schauspieler werden würde.[3] Er wusste erstaunlich gut über die Schauspielerei Bescheid. Vermutlich lag das nicht zuletzt an seiner langjährigen engen Freundschaft mit dem Ha-Bimah Schauspieler Aharon Meskin, von dessen Arbeitsweise er fasziniert war und mit dem er sich intensiv austauschte. Er hatte die Werke von K. S. Stanislawski[4] gelesen, kannte Lee Strasberg[5] und dessen Actors Studio und unterrichtete sowohl am Ha-Bimah Theater in Tel Aviv als auch Peter Brooks[6] Ensemble in Paris. In dem Interview mit dem Theatertheoretiker und Regisseur Richard Schechner (aus dem das vorangestellte Zitat stammt) formulierte er seine eigenen Ideen darüber, was Schauspieler brauchen, um erfolgreich zu sein. Eigentlich gibt es kaum Zweifel, dass die Feldenkrais-Methode für darstellende Künstler in besonderem Maße wertvoll ist.

Version 3Dennoch war es für mich im Theaterkontext wichtig, zu verstehen, dass mir Feldenkrais eine sehr konkrete Methodik zur Verfügung stellt, mit der ich bestimmte Resultate erreichen kann und andere nicht. Wenn ich mich selbst auf eine Vorstellung vorbereite, benutze ich eher selten reine Feldenkrais-Lektionen. Ich beginne vielleicht ein paar Minuten auf dem Boden mit einem Scan, um meine „Neutralität“ zu finden, mit der Schwerkraft und meinem Skelett in Kontakt zu kommen. Danach sind jedoch eher Übungen gefragt, die den Energiefluss anregen, das Raum- und Partnerbewusstsein steigern und die Reaktionsbereitschaft wecken. In dem erwähnten Interview sagt Richard Schechner zu Moshé Feldenkrais: Was Sie tun, ist eine grundlegende Schulung des Menschen.[7] Schauspielerinnen und Schauspieler lernen in Feldenkrais-Lektionen natürlich genau dasselbe wie alle anderen Feldenkrais-Praktizierenden auch. Ich erlebe das, was mit der Feldenkrais-Methode erreicht werden kann, als eine generelle Verbesserung der Infrastruktur meiner Handlungsfähigkeit. Mit den Bewegungs- und Wahrnehmungsexperimenten am Boden konnte ich die nötigen Grundlagen ausbilden und fördern, um in anderen Zusammenhängen wirksam und erfolgreich handeln zu können. Das war und bleibt selbstredend ein langfristiger (und wie die Geschichte mit meiner Stimme zeigt, zuweilen auch langwieriger) Prozess. Doch gerade diese Arbeit an den Grundlagen ist, wie ich finde, für alle darstellenden Künstler enorm lohnend, da sie mit der „Feldenkrais-artigen“ Herangehensweise auch ein Verfahren an die Hand bekommen, mit dem sie im Verlauf ihrer gesamten Karriere die Lernprozesse, die ihrem Beruf immanent sind, selbständig und kreativ handhaben können.

Darüber hinaus steht natürlich außer Frage, dass Schauspielerinnen und Schauspieler ein sehr spezifisches Handwerk beherrschen müssen, das durch ATM-Unterricht und wachsende Selbstbewusstheit nicht automatisch mit abgedeckt wird. Wenn jemand jedoch in „Bewusstheit durch Bewegung“ geschult, seine Infrastruktur folglich gut gepflegt ist, fällt es ihm bzw. ihr vermutlich leichter, schauspielerische Techniken zu erlernen, welche ja immer die körperlich-geistige Ganzheit der Person ansprechen sollten. Eine Schauspiel-Methode, die sich meiner Erfahrung nach mit Feldenkrais besonders gut verbinden lässt, ist jene von Michael Tschechow[8]. Tschechows Arbeit gründet auf Imagination und Bewegung und verlangt ein hohes Maß an Bewusstheit. Spielerisch und kreativ zielt sie darauf ab, die künstlerische Persönlichkeit der Schauspielerinnen und Schauspieler zu voller Entfaltung zu bringen. Tschechow entwickelte kein rigides System, das streng befolgt werden muss, sondern eine Fülle praktischer psycho-physischer Übungen, die ganz im feldenkraisischen Sinne erforscht, variiert und verinnerlicht werden sollen und sich gegenseitig befruchten.

Inzwischen ist Feldenkrais für Schauspielerinnen und Schauspieler kein Fremdwort mehr. An vielen Schauspielschulen kommen sie zumindest sporadisch mit der Methode in Berührung, an manchen Hochschulen, wie beispielsweise der HKB in Bern oder an der UdK in Berlin, erleben sie Feldenkrais sogar als festen Bestandteil des Lehrplans. Dennoch bilden die darstellenden Künste meiner Ansicht nach in Deutschland (noch) keinen natürlichen Nährboden für die Feldenkrais-Methode, vielleicht weil sie so grundlegend und ihre nachhaltige Wirkung nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen ist. Aber das Potential dafür ist vorhanden und vielleicht ist sogar eine Entwicklung in diese Richtung im Gange.

In meinen eigenen Workshops bin ich bestrebt, eine Arbeitsatmosphäre in Feldenkrais-artigem Geist zu schaffen. ATM-Lektionen benutze ich, um die Grundlagen der Arbeit zu legen und neue Ideen einzuführen, die dann mit Hilfe von Übungen aus schauspielspezifischen Trainings weiter erforscht und ausgearbeitet werden. Auf diese Weise möchte ich den Teilnehmenden Gelegenheit geben, sich selbst als „Attori poeti“ zu erfahren, als Autoren ihrer Rollen beziehungsweise ihrer Performances, auf dass sie sie mit den eigenen Fragen ans Leben durchdringen und bereichern können. Eine Arbeit, die selbstredend nicht mit einem Workshop oder einer Premiere endet, sondern sich im Idealfall wie eine Basslinie durchs ganze Leben zieht.


[1] Michael Tschechow, Lektionen für den professionellen Schauspieler, Berlin 2013.

[2] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144. [„Wenn ein Schauspieler gut ausgebildet ist, seines Körpers, seiner Augen, seines Mundes, seiner Willensäußerungen bewusst ist und das Innere mit dem Äußeren umfassenden Kontakt hat, kann er selbst entscheiden, was er tun möchte.“]

[3] Mark Reese, Moshé Feldenkrais: A Life in Movement, 2015; S. 73.

[4] Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863 – 1938), russ. Schauspieler, Regisseur und Schauspiellehrer.

[5] Lee Strasberg (1901 – 1982) US-amerikanischer Schauspiellehrer und Regisseur, Begründer des Method Actings.

[6] Peter Brook (geb. 1925), britischer Theaterregisseur, einer der prägendsten Vertreter des modernen Theaters im 20 .Jhdt.

[7] Moshé Feldenkrais, Verkörperte Weisheit, Gesammelte Schriften, 2013; S. 144.

[8] Michael A. Tschechow (1891 – 1955), russ. Schauspieler und Schauspiellehrer; Neffe des Dramatikers Anton Tschechow.

Hingabe

Was ist der Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen? Was sind typische Qualitäten bei kleinen Kindern? Ein paar spontane Assoziationen ergeben bereits eine lange Liste:  Kinder sind neugierig und bereit Dinge auszuprobieren, sie bewegen sich sehr viel und sehr gerne, sie sind spontan, spielerisch, oft angstfrei, nicht zu stoppen, ganz und gar bei der Sache, begeistert, enthusiastisch, total präsent… diese Aufzählung könnte noch ziemlich lange so weiter gehen.

Die genannten Qualitäten sind bei Erwachsenen oft eingeschränkt, blockiert oder verschüttet. Dabei sind es genau diese Eigenschaften, die unser Gehirn benötigt, um seinen Job gut zu machen!

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Anat Baniel – eine langjährige Schülerin von Moshé Feldenkrais – sagt, wir müssen als Erwachsene den Lernschalter wieder einschalten! Natürlich gibt es in unserem Gehirn nicht wirklich einen Schalter, aber das Gehirn kann in zwei verschiedenen Funktionsweisen arbeiten: in einem Lernzustand oder in einem Nicht-Lernzustand. Als wir kleine Kinder waren, befand sich unser Gehirn in einem Lernmodus, der fast immer eingeschaltet war, wenn wir wach waren. Alles was geschah, jede Erfahrung die wir machten, veränderte uns, da wir mit allen Sinnen bei der Sache waren, uns faszinieren ließen und uns allem, womit wir beschäftigt waren, mit Haut und Haar hingaben. So war unser Gehirn in der Lage, die Informationen aufzusaugen, die es brauchte, um optimal arbeiten zu können.

Aufgrund von häufiger Wiederholung, Drill, Alltagsstress und Gewohnheiten im Denken, Fühlen und Handeln, tendieren wir als Erwachsene dazu, den Lernschalter immer häufiger auszuschalten oder sein Volumen herunter zu dimmen. Dann kann eine Menge passieren, ohne dass wir das Geringste daraus lernen.

Die Feldenkrais Arbeit zielt auf einen organischen Lernprozess, der persönliche Veränderung mit sich bringt. Dies kann nur geschehen, wenn wir uns im Lernmodus befinden und uns auf die vorgeschlagenen Bewegungsexperimente mit gesteigerter Neugierde und mit Hingabe einlassen. Um organisch zu lernen, müssen wir jeden Moment als einzigartig betrachten. Diese Erfahrung ist in gewisser Weise sehr intim, da sie verlangt, uns mit unserem ganzen Selbst einzubringen, mit all unseren Gedanken, unseren Überzeugungen und der Art wie wir fühlen und uns bewegen – letztlich auch mit unserer ganzen Verletzlichkeit. Wenn wir uns darauf einlassen, machen wir mit unserem Gehirn etwas qualitativ anderes, als wir normalerweise tun! Statt ihm etwas  aufzuzwingen, gestatten wir ihm, etwas Neues zu erschaffen! So ermöglichen wir, dass uns die gemachten Erfahrungen transformieren können und wir uns entwickeln.

 

 

 

Feldenkrais und Butoh

Im Rahmen von „Butoh Bodies – Festival für Körper, Leiber und Figuren“ im Lindenfels Westflügel, biete ich einen Feldenkrais-Workshop an, in welchem die Wurzeln von Präsenz, Ausdruckskraft und künstlerischem Antrieb untersucht werden. Aus intensiver, eigener Erfahrung mit Butoh-Tanz und Feldenkrais erkenne ich teilweise eine enge Verwandtschaft in den zugrundeliegenden Prinzipien dieser beiden scheinbar so unterschiedlichen Disziplinen und sehe viele Möglichkeiten, wie Feldenkrais-Stunden zum Butoh-Tanz hinführen können.

Butoh als Initialzündung

Als junger Schauspieler führte mich mein erstes Engagement 1992 ans Junge Theater Göttingen, wo Tadashi Endo – Butoh-Tänzer und Schüler von Kazuo Ohno – einige Zeit das Körpertraining für die Schauspieler leitete. Mich faszinierte diese sehr ursprüngliche, kreatürliche Tanzform sofort. Bald begann ich mich, intensiver mit Butoh zu beschäftigen und besuchte Workshops und Intensivtrainings bei Tadashi Endo und anderen Butohtänzern, wie Akira Kasai, Ko Murobushi und Anzu Furukawa. Schließlich spielte ich unter der Regie/Choreographie von Tadashi Endo 1995 am Jungen Theater die Titelfigur in der Tanztheater-Produktion „Minotaurus“ nach dem gleichnamigen Libretto von Friedrich Dürrenmatt.

Es war nicht zuletzt diese intensive Begegnung mit dem Butoh-Tanz, die mich später zur Feldenkrais-Methode führte. Auch wenn auf den ersten Blick Welten zwischen diesen beiden Disziplinen zu liegen scheinen, so haben sie für mich auf einer grundsätzlichen Ebene viele Gemeinsamkeiten. Während Butoh als sehr radikale, avantgardistische Tanzform bekannt wurde, assoziieren viele Leute mit der Feldenkrais-Methode eher einen therapeutischen Kontext. Nur wenige wissen, dass die Wurzeln der Feldenkrais-Methode bei den fernöstlichen Kampfkünsten liegen und Feldenkrais sich an den selben Prinzipien für Bewegung und Handlung orientiert wie z.B. Judo oder Aikido. Im Grunde genommen ist Feldenkrais eine fundamentale Bewegungs-Lernmethode, die es erlaubt, die Infrastruktur der Bewegungs- und Ausdrucksfähigkeit schlechthin zu schulen und zu fördern. Bei den grundlegenden Gesetzmäßigkeiten menschlicher Bewegungsfähigkeit liegt auch die Verbindung zum Butoh-Tanz. Beide gehen von der Einheit des Körpers und des Geistes aus. Wahrnehmung, Gefühle, Gedanken und Bewegung sind immer nur verschiedene Aspekte eines unteilbaren Lebens-Körpers, der handelt, spricht oder eben tanzt. Sowohl im Butoh als auch in der Feldenkrais-Methode spielt die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft, die Erfahrung der Körpermitte (Tanden), die Imagination und die intensive, achtsame Präsenz im Hier und Jetzt eine bedeutende Rolle.

Für Schauspielerinnen und Schauspieler ebenso wie für Tänzerinnen und Tänzer ist der eigene Körper das wichtigste Ausdrucksmittel, das eigentliche Instrument ihrer Kunst. Daher ist es für alle, die auf einer Bühne agieren von größter Bedeutung, sich selbst und damit die eigenen körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten tiefgreifend zu studieren sowie zu lernen, dem, was sie zu sagen haben, Lebendigkeit, authentische Kraft und Unverwechselbarkeit zu verleihen.

Mir selbst eröffneten zunächst das Butoh-Training und später die Feldenkrais-Methode die geeignetsten Möglichkeiten und Ansatzpunkte bei der Suche nach einem Training, das hilft, eine möglichst neutrale aber präsente und durchlässige Grundstimmung zu erreichen. Als Schauspieler und Feldenkrais-Lehrer erfahre ich tagtäglich, welch enormen Effekt die Feldenkrais-Methode auf Körpergefühl, Koordination, Kreativität und Zusammenspiel hat und wie sehr sie die Authentizität fördert. Sie ist ein hervorragendes Werkzeug, um sich im Spannungsfeld zwischen eigener Persönlichkeit, den Anforderungen der Rolle und der künstlerischen Arbeitsweise zu orientieren.

Tatort-Kommissarin macht Feldenkrais

Ulrike Folkerts, die im Ludwigshafener „Tatort“ die Hauptkommissarin Lena Odenthal spielt, nimmt seit Jahren Feldenkrais-Stunden. In ihrem Buch „Das macht mich stark“ widmete sie der Feldenkrais-Methode ein ganzes Kapitel. Im Folgenden ein paar Zitate:

„Es sind spannende Momente wenn man neue Bewegungsabläufe in seinem und durch seinen Körper entdeckt.(…)

 Ich bekam einen Tipp von Lena Odenthals Kollegen Kriminaloberkommissar Mario Kopper. Versuch’s doch mal mit Feldenkrais. Ich hatte keine Vorstellung davon, was sich dahinter verbergen könnte. Aber neugierig, wie ich bin, war ich bereit für ein Abenteuer. Ich fand eine sehr sympathische Feldenkrais-Lehrerin und eine behagliche Atmosphäre (…) Ich hatte immer wieder stressbedingte Verspannungen im Nacken und Rücken und weil unser Leben schon schnell genug geht, entdeckte ich mit Feldenkrais
sehr gerne die Langsamkeit.(…)


 „Was mir besonders gefiel war die Tatsache, dass es bei Feldenkrais überhaupt nicht darum geht, falsche oder schlechte Gewohnheiten irgendwie auszumerzen. Die Feldenkrais-Methode zielt auf ein körperliches Lernen, auf Lernprozesse durch Bewegung, die Veränderungen in der inneren und äußeren Haltung anregen. (…) Der Sinn des Ganzen besteht darin festzustellen, wie das Gehirn mit einer neuen Situation zunächst zurechtkommt. Das Gehirn fühlt sich aus den gewohnten Bahnen geworfen und muss etwas umbauen. (…) Ich lernte, wie sich seelische Verspannungen, die sich in körperlichen zeigen, verändern können. (…) Ich entdecke Fähigkeiten in meinem Körper und mit meinem Körper, die ich längst vergessen hatte. Ich lerne neu. Ich lerne um. Rein theoretisch können wir unser ganzes Leben lang so lernen, ich habe mein eigenes Potenzial auf diesem Wege überhaupt erst entdeckt.“

„Die Methode macht ehrlich. Wenn man will, bekommt man dadurch einen Zugang zu seinen Gefühlen und gleichzeitig Entspannung und Bewusstheit.“ (Ulrike Folkerts)